Mal wieder geisterte ein Medienbeitrag durch die Landschaft. Diesmal ließ die zu erwartende Empörung in den Dampferforen zwar schnell nach. Doch jede Horrormeldung ist ja eigentlich ein Schmankerl für sich. Und an dieser journalistischen Glanzleistung kann man schön sehen, wie der Versuch sich öffentlich zu profilieren einher geht mit dem Ehrgeiz von ahnungslosen Reportern, die ihre Chance wittern ein Thema aufgreifen zu können, ohne noch lästig recherchieren zu müssen.
Es ist nervig und langweilig, jedes Mal diesen Schund zu analysieren. Aber da müsst Ihr jetzt durch.
Auf geht’s Kinder, es ist auch für uns die letzte Stunde. Macht uns auch keinen Spaß.
In unserem heutigen Lustspiel soll es um den Bericht des NDR gehen. Da der NDR nicht direkt über Werbung seine Beiträge finanziert, sind wir auch bereit die Nummer hier einmal zu verlinken. Ihr könnt es Euch also anschauen. Denn wir möchten das mal wieder nett filetieren.
Schon im ersten Absatz finden wir eine sehr bemerkenswerte Verdrehung, die aber nicht auf den ersten Blick auffällt.
Die [E-Zigarette] präsentiert sich in der Werbung als die weniger gefährliche Alternative zur Zigarette. Doch Forscher des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) in Lübeck schlagen Alarm. Der Dampf der E-Zigarette sei alles andere als ungefährlich, sagt Klaas Franzen vom UKSH dem Schleswig-Holstein Magazin.
Das Augenmerk des aufmerksamen Lesers mag hier einmal auf den scheinbaren Widersprüchen „weniger gefährlich“ und „ungefährlich“ verweilen.
Denn genau das ist die rhetorische Finesse, mit der alle Gegner der Dampfe arbeiten. Sie stellen „weniger gefährlich“ und „ungefährlich“ auf eine Stufe. Was Unsinn ist, was jedem Muttersprachler irgendwie klar sein sollte. Im ersten Satz wird davon gesprochen die E-Zigarette stelle sich als weniger gefährlich da. Im dritten Satz wird gesagt sie sei nicht ungefährlich. Dummerweise behauptet das aber auch niemand. Genau mit dieser Ungenauigkeit wird ein Bedrohungsszenario aufgebaut.
Der zweite Satz dieser Anmoderation ist dann noch unverständlicher. Die Forscher schlagen Alarm? Irgendwie schlägt da aber keiner Alarm. Wir haben das noch einmal mit dem Duden und Wikipedia abgeglichen, „Alarm“ ist irgendwie anders. „Alarm“ ist, wenn alle ins Haus laufen und die Gasmasken aufziehen. „Alarm“ ist mit Sirenen und riesigen, außerirdischen Robotern am Horizont.
Hier spricht aber ein offenbar tiefenentspannter Forscher mit einem geschätzten Ruhepuls von 12 in die Kamera, weit entfernt davon zu eskalieren. Der offengesagt in seiner physischen Darreichungsform, einem Phlegma im weißen Kittel, auch eher den Eindruck macht als gehöre er der Unterspezies an, der die Großen in der Pause regelmäßig den Kakao und das Brot abgenommen haben. Aber gut, Nerds beherrschen die Welt. Danke Bill Gates und Mark Zuckerberg.
Das größte Problem das wir auch hier wieder sehen steht dann im zweiten Absatz.
Extrakt aus dem Qualm von E-Zigaretten gab er auf Zellkulturen.
Wie wir bereits mehrfach erklärt haben ist das größte Problem wissenschaftlich korrekt Experimente durchzuführen das Problem der Gewinnung des Dampfes. Und siehe da, hier wird auf einmal wieder von Qualm gesprochen, obwohl im eigentlichen Video extra von Dampf gesprochen wird. Das ist ja keine Kleinigkeit, denn Dampf ist physikalisch etwas vollkommen anderes als Qualm.
Im Video wird dann als Beispiel auch wieder eine Cig-a-like erläutert, die auf Zug reagiert. Diese E-Zigaretten werden dann ganz gerne in so genannte Smoking Machines gespannt, die dann daran ziehen als wären es Zigaretten. Die registrieren dann aber nicht wenn beispielsweise das Liquid nicht nachfließt, und so kann es dann zu einem verglimmen kommen. Wobei sich dann selbstverständlich Stoffe wie Formaldehyd entwickeln können, was bei normalem Betrieb so nicht vorkommt. Niemand inhaliert einen Dry burn zweimal. Das ist als mache man eine Abgassonderuntersuchung und erkläre dann das ganze Auto für krebserregend. Seriöse Untersuchungen sind hier bereits sehr exakt und steuern das so, wie ein Dampfer auch in natura ziehen würde. Nämlich langsamer, länger, mit Pausen und dem Liquidnachfluss angemessen.
Die ganze Verlässlichkeit dieses „Experimentes“ (Zitat) ist also fragwürfig.
Aber gehen wir doch mal in das multimediale Feuerwerk hinein.
0:28
Es [das Dampfen] gilt als mehr oder weniger sauber. So das viele Menschen annehmen dass der Dampf aus der E-Zigarette weniger gefährlich ist.
Dr. Klaas Franzen
Richtig Herr Dokta. Könn‘ wir so unterschreiben. Zu den Menschen die das „annehmen“ gehören unter anderem die Forscher des National Health Service, einer Unterabteilung des englischen Gesundheitsministeriums, die der E-Zigarette 95% weniger Schädlichkeit bescheinigten. Wie auch eine ganze Menge Mediziner, Fachärzte, Forscher, Toxikologen etc.
1:33
Die Frage ist, ob es bei dem Prozess, die Flüssigkeit, das Liquid, umgesetzt wird in Dampf, ob es da an dieser Heizspirale zu Veränderungen von den Molekülen von den Aromastoffen kommt.
Dr. Klaas Franzen
Auch diese Aussage unterschreiben wir gerne. Sofort.
Wie der Herr Forscher es sagt, darauf kommt es an. Es kommt auf das Liquid an (aus was, Zusammensetzung), auf die Heizspirale (wie hoch erhitzt, Länge des Befeuerns, Liquidnachfluss) und auf die Aromastoffe (Erdbeere, Menthol, Vanille, Leberwurst, Pizza Quattro Stagioni…).
Da stellt sich doch die Frage wie man eine allgemeingültige Aussage treffen kann, wenn man nicht alle Variablen durchprobiert hat. Das sollte auch dem geübten Nichtforscher klar sein: Das wird schwierig.
1:47
Der Dampf der E-Zigarette gelangt tiefer in die Lunge als der Qualm von Filterzigaretten.
Das ist offenbar eine Mutmaßung, die der gemeine Menschenverstand so impliziert. Es wird länger daran gezogen, es sieht mehr aus, also muss es mehr sein. Also muss es tiefer in die Lunge gehen.
Im Umkehrschluss würde das aber bedeuten, dass die Schädigung beim Rauchen in den oberen Atemwegen beginnt. Wir wissen aber, dass das genaue Gegenteil der Fall ist. Denn wenn man einen Luftballon aufbläst, ist der auch immer bis unten voll. Egal wie viel man hinein bläst.
Für diese Behauptung gibt es nach unserer jetzigen Erkenntnis nicht eine einzige, gesicherte wissenschaftliche Untersuchung.
Das hört sich aber verdächtig nach der üblichen Argumentation von Fr. Dr. Pötschke-Langer an, nach der Dampf und Aromen ja tief und immer tiefer inhaliert werden. Ein Nachweis dazu fehlt seit Jahren.
1:52
Wenn er hier Zellen abtötet wie bei dem Versuch im Labor könnte das langfristig genauso Krebs verursachen wie beim herkömmlichen Rauchen, hat Klaas Franzen mit seinen Kollegen herausgefunden.
Zunächst einmal muss wohl dazu gesagt werden, dass Versuche in vitro, also außerhalb eines lebenden Organismus, hervorragend geeignet sind um erste Anhaltspunkte zu bekommen. Aber sie sind nicht zwangsläufig auf einen lebenden Organismus übertragbar. Nicht umsonst werden Medikamente in jahrelangen Versuchen an Freiwilligen getestet, um zu sehen ob den Leuten nicht doch noch plötzlich eine gotische Kathedrale aus dem Kopf wächst. Oder wenigstens ein dritter Daumen. Böse Zungen behaupten im Petri Schälchen können Versuche so gestaltet werden, dass ein vorher erwünschtes Ergebnis dabei herauskommt.
Entscheidend ist aber etwas anderes. Ist jemandem aufgefallen wie in diesem Satz gleich zwei Konjunktive untergeschoben wurden? Wenn er hier Zellen abtötet, könnte das etwas verursachen.
Vergleich gefällig? Wenn man regelmäßig süße Säfte trinkt, könnte man dick werden. Das ist exakt das Konstrukt dieses Satzes.
2:03
Er forscht aber nicht nur im Labor. Der Arzt misst die Körperfunktionen von Probanden, nachdem sie E-Zigaretten geraucht haben. Ob mit oder ohne Nikotin sind die Reaktionen ähnlich.
Ähnlich wie was? Die bekommen danach alle spontan Krebs? Bis hierhin ging es doch um das Absterben von Lungenzellen.
Oder erhöht sich kurz der Blutdruck? Dazu muss man nicht messen, das ist bekannt. Und das lässt nach wenigen Minuten nach. Zumindest bei Nikotin, aber so genau wird das ja nicht erläutert.
2:22
Alle Hinweise die wir haben, alle Studien die es gibt, sagen nach wie vor dass es einen Schaden gibt. Da sieht man Veränderungen in der Herzfrequenz, aber auch im Blutdruck.
Dr. Klaas Franzen
Und das ist tatsächlich spannend. Welche Studien sind es? Wo steht das? Uns ist keine derartige Studie bekannt. Nicht eine. Und es gibt Listen zu allen Studien die weltweit zu E-Zigaretten durchgeführt wurden. Es sind inzwischen weit über 300. (Stand Ende 2015)
Um dem Laien das Problem einmal zu verdeutlichen: Fast alle Dampfer sind ehemalige Raucher. Nach langem Konsum von Tabak entstehen auch Ablagerungen in den Adern. Das wiederum erhöht den Blutdruck. Man kann also nie zuverlässig ausschließen dass es nicht auch daran liegt. Hinzu kommt ein interessanter Punkt, der bisher ungelöst ist. Raucher haben in der Menge -unabhängig von den einzelfallabhängigen Blutdruckerhöhungen- einen niedrigeren Blutdruck. Das ist erst einmal unverständlich, und deshalb gibt es auch dazu kein abschließendes Erklärungsmodell. Was ist also, wenn jemand vom Rauchen auf das Dampfen umsteigt und sich der Blutdruck erst einmal erhöht, in einem vollkommen normalen und gesunden Maß?
Fragen über Fragen.
Wir haben nun extra gewartet diesen Artikel zu veröffentlichen. Denn der Anstand gebietet, dass man nachfragt ob derjenige sich dazu äußern möchte.
So haben wir am Morgen nach der Ausstrahlung Herrn Dr. Franzen um eine Stellungnahme gebeten. Unter anderem haben wir explizit danach gefragt ob seine Arbeiten irgendwo in einem -bei Wissenschaftlern üblichen- peer review veröffentlicht wurden. Im Netz war dazu nämlich nichts zu finden, obwohl eigentlich alle veröffentlichten Arbeiten im Netz zugänglich sind.
Wir haben auch gefragt wie der Dampf zur Gewinnung des Extraktes gewonnen wurde, welche E-Zigaretten getestet wurden und auf welche Studien er sich am Ende des Beitrags bezieht.
Eine Antwort haben wir nicht erhalten.
Übrigens vermittelt der Bericht den Eindruck, Herr Dr. Klaas Franzen aus dem beschaulichen Schleswig-Holstein sei der erste, der auf diese Idee gekommen ist. Das ist falsch. Das ist ein Standardverfahren das inzwischen so oft durchgeführt wurde, dass man es gar nicht mehr aufzählen kann. Von der University of California bis zum Istituto di Neuroscienze in Florenz.
Den absoluten Oberknaller, die Amarenakirsche auf dem Sahnehäubchen, hat sich dann aber der NDR noch einmal selber vorbehalten.
In einem kursiv gesetzten Kommentar unter dem Artikel heißt es.
Liebe Nutzer,
der Handel mit E-Zigaretten, die Nikotin enthalten, ist laut einer Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) in Deutschland nicht mehr erlaubt. […]
Darüber haben wir ausreichend berichtet. Dieser Kommentar ist absurd und entbehrt jeglicher Grundlage. Er ist falsch, spätestens seit der Verabschiedung des Tabakerzeugnisgesetzes. Er war es aber auch zu jeder Zeit vorher. Das zeigt sehr deutlich, wie viel Recherche der NDR hier geleistet hat.
Mit diesem „Bericht“ und der journalistischen Verabreichung ist der NDR auf dem Niveau von RTL angekommen. Oder für RTL Zuschauer: Niewoh. Nicht die Handcreme, das andere.
Das letzte Wort soll Prof. Dr. Bernd Mayer haben, Toxikologe und Pharmakologe an der Uni Graz, der u.a. Nikotin lange beforscht hat. (Unser Interview mit ihm findet Ihr hier.)
Er kommentierte diesen Beitrag auf Facebook auf der Seite des NDR 1 Welle Nord. Wir haben dem nichts hinzu zu fügen.
Bin schon auf die Publikation der „Studie“ des „Forschers“ gespannt, von der ja nicht allzu viel verraten wurde. Das Traktieren von kultivierten Zellen ist eine beliebte Methode, um schnell jedes beliebige Ergebnis zu erzielen. Dazu muss man sie nur entsprechend traktieren.
Besonders erstaunlich finde ich die Aussagen des Jungforschers Franzen zu Blutdruck und Herzfrequenz. Ähnlich wie Coffein erhöht auch Nikotin diese Parameter kurzfristig ein wenig. In beiden Fällen ist das aber harmlos und kann auch durch Treppensteigen erzeugt werden. Neu ist die Beobachtung, dass auch die Inhalation von nikotinfreiem Aerosol Herzkreislauf-Wirkungen hat. Mit dieser Entdeckung steht Herr Dr. Franzen allerdings alleine auf der Welt da. Er ist also entweder Kandidat für den Nobelpreis oder den Wapplerpreis. Wenn ich wetten müsste, würde ich auf Letzteres tippen.
Prof. Dr. Bernd Mayer; 14.03.2016
Joey Hoffmann
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