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Dampfen verursacht Bronchitis bei Jugendlichen

Wie man wissenschaftlichen Scheiß erzählt

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Im Moment läuft die Presse wieder zur Hochform auf, es wird verstärkt über die Gefahr des Dampfens für Jugendliche Berichtet. Das hat zwei Quellen.
Zum ersten hat der US Surgeon General (Gesundheitsinspekteur) Vivek H. Murthy, Leiter des Public Health Service der USA, in einem Statement gesagt, dass E-Zigaretten ja etwas ganz schlimmes sind. (u.a. Welt, Washington Post, stern, etc.)
Und zum zweiten wurde eine Studie veröffentlicht, die angeblich nachweist, dass E-Zigaretten das Risiko einer Bronchitis bei Jugendlichen erhöht. Diese Studie fand auch in der deutschen Presse weite Aufmerksamkeit. (u.a. MDR, etc.)
In dem Artikel der Süddeutschen Zeitung, über den wir am Rande berichtet haben, ging es ebenfalls um diese Studie.

Diese Studie ist symptomatisch dafür, was ständig in den Medien passiert. Sie ist ein Paradebeispiel. Schauen wir uns anhand dieser Studie doch einmal an, wie das so systemisch abläuft und was vorher passiert ist, wenn wieder so eine Meldung die Runde macht.

Wissenschaftler sind anders

Um zu verstehen, was da eigentlich abläuft, muss man wohl verstehen wie Wissenschaftler ticken. Denn Wissenschaftler sind anders als andere Menschen.

Robin Williams als Dr. Sacks im Vorstellungsgespräch

Der hoch angesehene Neurologe Oliver Sacks hat ein autobiografisches Buch geschrieben. Das wurde als „Zeit des Erwachens“ 1989 mit Robert De Niro und Robin Williams in der Rolle des Dr. Sacks verfilm.
Zu Beginn des Films sitzt Dr. Sacks in einem Bewerbungsgespräch in einem Krankenhaus, das einen neuen Neurologen sucht. Sacks war aber vorher nur wissenschaftlich tätig und ist eigentlich völlig falsch. („Was? Sie meinen lebende Menschen?“)
Daraufhin wird er gefragt, was er denn als Neurologe vorher gemacht habe. Und er erzählt begeistert, dass er 5 Jahre daran gearbeitet hat aus vier Tonnen Regenwürmern ein zehntel Gramm Myelin zu extrahieren. Da Myelin aber nur bei Wirbeltieren vorkommt, sagt sein zukünftiger Chef abfällig „Das war doch aussichtlos.“ Worauf Dr. Sacks erwidert „Das war es auch. Ich habe es bewiesen.“
So sind Wissenschaftler.

Wer nicht glaubt, dass es sowas gibt, der sollte sich einmal die Liste der Preisträger des Ig-Nobel Preises anschauen. Und wofür sie den Preis bekommen haben.
Mit dem Ig-Nobel Preis verarschen sich Wissenschaftler eigentlich selber.

Das nüchterne Interpretieren von Daten

Wissenschaftler betrachten Daten und Fakten. Sie werten nicht. Jeder normale Mensch bewertet ständig. Leckerer, größer, schöner, gefährlicher. Menschen bewerten auch, ob etwas nach menschlichem Ermessen Sinn macht. Wissenschaftlern wird das aberzogen. Ein Gift kann auch „erfolgreich“ zum Ableben führen. Denn für das Gift ist es ja ein Erfolg. Für den der es nimmt eher weniger, aber um den geht es ja nicht.
Deshalb werden Wissenschaftler gerne als verschroben und zerstreut dargestellt. Weil sie es sind. Vor allem Psychologen haben meist selber derbe einen an der Klatsche.

Wissenschaftler errechnen oder erheben Daten. Durch selbst gewonnene Daten oder durch Datensammlungen wie Befragungen. Und dann werten sie sie aus. Das ist inzwischen eigentlich das, was den Großteil der Wissenschaft ausmacht. Man nennt das Empirie.
Deshalb lernen Wissenschaftler heutzutage vor allem auch, wie man saubere Daten bekommt. Daten die zuverlässig sind. Man nennt das Validität.

Axt im Kopp kann ein Hinweis sein

Toter in der Wäscherei = Waschmittelvergiftung

Jeder kennt so eine Szene aus einem Krimi. Der Kommissar kommt an den Tatort, dem ermordeten Multimillionär steckt ein Beil im Kopf, und der Forensiker sagt trocken „Keine Ahnung woran er gestorben ist.“
Der neuste Clou bei Serien ist, dass nach der Obduktion dann herauskommt, dass das Opfer doch ertrunken ist, und die Ehefrau aus Hass ihm nachträglich noch eine Axt in den Schädel gedonnert hat. Aber der Nachbar ihn vorher ertränkt hat. Weil er was mit seiner Frau hatte.
Voila, das ist Wissenschaft. Nicht mutmaßen, wissen.
Bleiben wir bei diesem Bild.

Hat ein Wissenschaftler nun solche Daten gesammelt, dann interpretiert er sie. Und dabei passiert manchmal das Dilemma. Er vergisst einfach, streng wissenschaftlich vorzugehen. Er formuliert sein Ergebnis falsch. Er schreit zu früh „Wat nachgucken? Der hat doch ne Axt im Kopp.“
Dazu gibt es dann das so genannte Peer to Peer Review. Er veröffentlicht sein Ergebnis (Tod durch Axt im Kopp) in einem Fachmagazin. Und dann stürzen sich alle Forensiker der Welt da drauf, und gucken ob er einen Fehler gemacht hat. In unserem Axt-im-Kopp-Fall fragt dann vielleicht einmal einer, ob er auch geguckt hat, ob der Mann nicht vorher einen Herzinfarkt gehabt hat. Vielleicht weil er sich so über die Axt erschrocken hat. Oder ob er die Lungen untersucht hat. Denn schließlich könnte ja der Nachbar ihn vorher ertränkt haben, weil er seine geile Olle regelmäßig knattert. Und die hat sich dann nur als finalen Akt ein Gartengerät geschnappt.

Hat unser Forensiker dass dann aber nicht ausgeschlossen, dann wird er von den anderen zerrissen. So etwas kann schon mal eine Karriere beenden. Deshalb sind Wissenschaftler da sehr vorsichtig, ihre Interpretationen zu formulieren. Wissenschaftler liegen meist richtig.
Eine zweite Fehlerquelle ist weit häufiger. Die Medien.

Jornalisten lesen nicht die Studie

Für wissenschaftliche Arbeiten gibt es so etwas wie eine Inhaltsangabe. Dieses so genannte Abstract ist üblicherweise auf Englisch und hat immer die gleichen Bestandteile. Während die ausführliche Studie (bzw. das Fachmagazin in der sie erschienen ist) teuer Geld kostet, ist das Abstract frei. Das kann man in Datenbanken und anderen Quellen einsehen.
Und das ist wohl die Quelle, die viele Journalisten dann nur lesen. Wenn überhaupt.
Bei der Studie, die gerade wieder durch den Blätterwald weht, war das aber offensichtlich etwas verzwickter. Aber dazu kommen wir noch.

Die Bronchitis Studie

Die USC in LA

Mehrere Forscher der Abteilung Präventive Medizin der University of Southern California haben 2000 Jugendliche von 2002 bis 2014 begleitet, um langfristige Daten zu gewinnen. Dabei ging es gar nicht um die E-Zigarette an sich. Denn solche Langzeit Daten sind in der Forschung Gold wert. Die gesamte Datenerhebung hat in der „Southern California Children’s Health study“ bereits 1992 begonnen.
Dazu wurden die Jugendlichen jährlich, später alle zwei Jahre, befragt. Das passierte durch einen Fragenkatalog, den die Kinder oder deren Eltern ausfüllen mussten.
Nur im letzten Jahr wurden die inzwischen 16 bis 18 Jährigen zur Benutzung einer E-Zigarette befragt.

Die Wissenschaftler der USC haben dabei gefragt, ob die Teenager über 3 Monate Symptome für Bronchitis gehabt hätten. Wie häufiges Husten oder Auswurf. Und hier haben die Wissenschaftler den ersten, entscheidenden Fehler gemacht. Sie haben ohne Untersuchung vorausgesetzt, dass diese Jugendlichen eine chronische Bronchitis, oder COPD, hätten. Unabhängig ob die Halbstarken nun gedampft haben oder nicht.
Sie haben die Axt im Kopp gesehen, aber nicht weiter nachgeforscht. Wie das Kind bei Kindergarten Cop: Als Schwarzenegger sagt er habe Kopfschmerzen, erklärt das Kind wissend das sei ein Hirntumor.

Fehler über Fehler

Viele Jugendliche in indischen Großstädten leiden an der E-Zigarette

Beispielsweise wurde nicht unterschieden zwischen einer chronischen Bronchitis und einer akuten Bronchitis. Die kann man nämlich schon bei einer Erkältung haben. Und die ist bei Jugendlichen weit häufiger.
Sie haben auch keine Umweltfaktoren einberechnet. Beispielsweise ob die Jugendlichen neben einem Kohlekraftwerk leben. Oder in einem Raucherhaushalt. Denn chronische Bronchitis ist ein typisches Merkmal von Rauchern.
Noch besser, sie haben auch nicht danach gefragt, ob diese Jugendlichen nebenbei selber Tabak geraucht haben. Beziehungsweise das nicht ins Verhältnis gesetzt. Das wurde einfach ausgeklammert. Die scheinbaren Symptome wurden nur dem Gebrauch von E-Zigaretten zugeschrieben.

Sie haben die Beurteilung des Krankheitsbildes einfach in der subjektiven Einschätzung der Jugendlichen erfragt , und das dann vereinfachend als COPD definiert. Was natürlich völliger Humbug ist. Denn mal ehrlich, wer merkt sich denn wie oft er in den letzten zwei Jahren Husten musste?

Von anderen Wissenschaftlern zerlegt

Professor Dr. Farsalinos von der Uni in Patras, ein starker Verfechter pro E-Zigarette und selber Nichtdampfer, hat da ein sehr schönes Statement zu veröffentlicht. Er hat sich die offiziellen Zahlen des Center for Desease Control angeschaut.
Umso älter die Menschen sind, umso häufiger leiden sie an COPD. Für junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren wird die Zahl mit 2,5% angegeben. Für Jugendliche unter 18 müsste es also weniger sein. Gemäß der Studie und ihren Kriterien leiden aber 19,2% der Jugendlichen in Süd Kalifornien an COPD. Jeder fünfte.
COPD ist das neue Ebola. Da muss doch mal einer die Polizei rufen.

Wichsen macht Husten! Fakt!

Überdurchschnittlich viele Onanisten klagen über Akne

Mit der gleichen Sorgfalt könnte man erfragen, ob die Jugendlichen Selbstbefriedigung betrieben hätten. Geben dann viele Jugendliche an, dass sie öfter husten müssen, schließt man daraus dass man COPD bekommt, wenn man sich exessiv einen von der Palme wedelt.
So wurde im Mittelalter Medizin gemacht.

Im Abstract waren die Wissenschaftler allerdings etwas vorsichtiger. Sie stellten lediglich fest, dass heranwachsende E-Zigaretten Nutzer einen höheren Anteil von Symptomen einer chronischen Bronchitis aufwiesen. Dieser Schluß ist ja vollkommen richtig, er sagt ja nichts darüber aus, ob sie Bronchitis „hatten“. Über die Zuverlässigkeit der Feststellung der Symptome sagt er auch nichts.
Die nächste Eskalationsstufe kam dann durch die Veröffentlichung.

Ausgerechnet die American Thoracic Society, eine angesehene Vereinigung von weltweit 15.000 Ärzten, veröffentlichte dann am 17. November 2016 eine Mitteilung zu dieser Studie. Unter der Schagzeile „E-zigaretten können die Lungen von Teenagern beschädigen“. Neben den üblichen Argumenten, wie dem Gateway Effekt, wird hier im Artikel vom Konjunktiv auf eine Feststellung gewechselt. Ohne das weiter erklärt wird, wie diese Daten überhaupt gewonnen wurden.

Die Medien machen den Rest

Einen Schritt weiter auf der Eskalationsstufe grätscht da nun auch die deutsche Medienlandschaft rein und erklärt es zur Tatsache. In der englischen Daily Mail online kann man schon den Titel lesen: „E-Zigaretten verdoppeln das Risiko von Bronchitis: Experten sagen sie setzen eine Chemikalie frei, die eine permamente Lungenschädigung verursachen“.

Keiner der Teilnehmer an diesem Lustspiel hat gelogen. Sie interpretieren und drehen. Sie spielen rhetorisch. Es ist eine Stille Post, wo hinten etwas anderes bei herauskommt, als das was vorne rein gegangen ist. Und das was vorne rein gegangen ist, war schon ziemlicher Scheiß.

Sollte Euch also demnächst einer erzählen, dass man vom Dampfen chronischen Husten bekommt, wisst Ihr jetzt Bescheid. Das ist der gleiche halbgare Unfug wie mit der Popcorn Lunge.

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Joey Hoffmann

Begründer und inhaltlich Verantwortlicher bei vapers.guru
Freier Redakteur, zuvor angestellter und selbstständiger Marketingberater und Mediengestalter, Fachbereich Facebook und Wordpress. Mitglied des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes.

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