Der Professor für Moralpsychologie Dr. Lynn Kozlowski hat einen Artikel veröffentlicht, in dem er die Beweggründe von Gegnern der Harm Reduction analysiert. Daraus ergeben sich bemerkenswerte Erkenntnisse über den Streit um die E-Zigarette.
Harm Reduction ist der englische Fachbegriff, um den sich auch in der Diskussion um die E-Zigarette alles dreht. Aber er ist auf alle Gebiete anzuwenden, die die Psychologie, Soziologie und öffentliche Gesundheit betreffen.
Die Harm Reduction (i.e. „Schadensreduzierung“) geht davon aus, dass ein unabwendbarer Schaden zumindest klein gehalten werden sollte. Also beispielsweise Drogenabhängigen unschädlichere Ersatzstoffe anzubieten, Höchstgeschwindigkeiten zu erlassen um schwere Verkehrsunfälle zu minimieren oder Kindern Früchte anstatt Süßigkeiten nahe zu bringen.
Dem diametral entgegen steht die Vorstellung der Regulation oder des Verbotes, mit dem eine Abstinenz erreicht werden soll.
So dachten viele Menschen zum Beginn des vergangenen Jahrhunderts, man müsse nur den Alkohol oder andere Drogen verbieten, und dadurch würden auch die negativen Folgen für die Gesellschaft wegfallen.
Dass dies nicht funktioniert, wurde bisher häufig eindrucksvoll bewiesen.
Verbot hat noch nie funktioniert
Während der amerikanischen Prohibition wurde mehr Alkohol getrunken als zuvor. In einer Umfrage vor wenigen Jahren gaben etwa 90% der über 16 jährigen Schüler an, sie wüssten, wo sie sofort Cannabis kaufen könnten. Und vor kurzem hat das Bundeskriminalamt veröffentlicht, dass noch nie so viel Kokain im Umlauf war, wie im gerade vergangenen Jahr.
Die Gründe, warum trotzdem viele Menschen auf ein Verbot setzen, müssen also andere sein. Rational und wissenschaftlich sind sie kaum noch zu stützen.
Relitätsferne Forderungen
Das betrifft die E-Zgarette in starkem Maße. Denn während immer mehr wissenschaftliche Ergebnisse zeigen, dass die Dampfe deutlich gesünder ist, bestehen andere auf eine strenge Regulierung. Begründet wird dies mit den immer gleichen Argumenten: Jugendschutz, Öffentliche Gesundheit und Renormalisierung des Konsums. Wobei damit wohl die Inhalation von Genussmitteln gemeint sein muss, denn E-Zigaretten haben nichts mit Tabak gemein.
Das geht sogar so weit, dass auf der gerade stattgefundenen Tabakkontrollkonferenz Stimmen laut wurden, die E-Zigarette in die Apotheke zu verbannen. Von Experten und Rauchgegnern, die eigentlich wissen sollten, dass diese Forderung absurd und nicht umsetzbar ist.
Doktor und Moralpsychologe
Lynn Kozlowski ist Professor für Moralpsychologie.
Die Moralpsychologie untersucht die Wertvorstellungen von Menschen und deren Genese. Also wie die Menschen zu bestimmten Wertvorstellungen kommen und wie weit ein sozialer, kultureller oder erzieherischer Aspekt auf diese einwirken.
Kozlowski hat Englisch und Psychologie studiert, bevor er in Psychologie promoviert hat. Er war bereits 1974 Assistenzprofessor, bevor er von den USA nach Kanada an die Universität Toronto gewechselt ist. Von dort kehrte er in den 1990ern zurück und ging an die Penn State.
Anerkannter Fachmann
Die Pennsylvania State University ist ein so genanntes Public Ivy. Die acht besten Universitäten (Harvard, Yale, Princeton, etc.) werden in der Ivy League (Efeu Liga) zusammen gefasst und sind allesamt private Einrichtungen. Daneben gibt es die Public Ivy, deren Mitglieder in öffentlicher Hand sind.
Die Penn State gehört unbestritten zu den besten Universitäten der USA.
Kozlowski war dort Abteilungsleiter und Professor, bevor er 2006 an die Universität von Buffalo wechselte. Hier leitet er u. a. die Abteilung für Gesundheitsverhalten (Health Behavior).
Er darf also durchaus als Koryphäe und weltweit herausragender Fachmann auf seinem Gebiet der öffentlichen und kommunalen Gesundheit bezeichnet werden.
In allen Bereichen hat er schwerpunktmäßig auch immer in leitender Position der Tabakkontrolle gearbeitet.
Gegner unterliegen einer Verzerrung
In der Dezemberausgabe des Fachmagazins Journal of Health Politics, Policy and Law ist nun ein Artikel von ihm erschienen, der die Gründe für diese Diskrepanz zwischen Befürwortern und Gegnern der Harm Reduction hinterfragt.
Er kommt zu dem Schluss, dass diejenigen, die gegen eine Harm Reduction argumentieren, einer psychologischen Verzerrung unterliegen. Einem emotional begründeten Fehler.
Als kognitive Verzerrung oder Bias bezeichnet man in der Psychologie Fehler, die auf irrationale Urteile basieren.
Beispielsweise bevorzugt der Mensch Quellen, die seine bereits gefällte Meinung unterstützen und blendet solche aus, die ihr widersprechen. Oder Menschen weisen gut aussehenden Personen automatisch positivere Charaktereigenschaften zu, weshalb diese dann Beispielsweise leichter einen Job finden.
Soweit zum gesunden Menschenverstand, die Liste der Kognitiven Verzerrungen ist sehr lang. Sie sind „systematisch fehlerhaft“.
Im Fall der Harm Reduction und der E-Zigarette begründet sich diese Verzerrung auf dem Wunsch „sich mehr auf den Schutz von guten Kindern vor Schaden zu konzentrieren, als dem Schutz von bösen Kindern vor größerem Schaden“, urteilt Kozlowski.
Debatten vergiftet und wenig wissenschaftlich
„Nach Jahrzenten der Arbeit auf diesem Gebiet dachte ich, die Perspektive der Moralpsychologie kann darüber aufklären, warum diese Debatten so oft so vergiftet und so oft so wenig wissenschaftlich geführt werden“ sagte der Experte zu seinem Artikel.
Die „guten“ Kinder seien dabei diejenigen, die niemals Nicotin oder Tabak konsumieren würden und ein sehr geringes Risiko hätten, es jemals zu tun. Die „bösen“ Kinder seien diejenigen, die bereits Nicotin oder Tabak nutzen und andere riskante Dinge tun, wie Alkohol trinken oder andere Drogen zu konsumieren.
„Keine dieser Positionen sollte als bizarr oder unmoralisch angesehen werden. Denn beide werden gestützt durch starke moralische Instanzen. Es ist ein Aufruf zu versuchen zu verstehen, woher diese Unterschiede kommen, so zu sagen.“
Prof. Dr. Lynn Kozlowski, Dezember 2017
Safer Sex vs. Abstinenz
So vergleicht er die Debatte dann auch nicht mit anderen Drogen, sondern mit der Sexualerziehung. Denn dort werden die moralischen Ansprüche sicher am deutlichsten. Die einen vertreten eine strikte Abstinenz, andere vertreten den Standpunkt der Harm Reduction durch Safer Sex.
Es habe sich jedoch herausgestellt, dass man mit umfassenden Programmen der Sexualerziehung die Möglichkeit hat, mehr Menschen damit zu erreichen um so davon zu profitieren.
Was selbstverständlich psychologisch ebenso geschickt formuliert wie analysiert ist. Denn wenn Jugendliche die Wahl zwischen Safer Sex und Abstinenz haben, dürfte klar sein, welche die bevorzugte Variante wäre.
Es ist jedoch ein Apell, beides zu tolerieren und die Entscheidung den Menschen selber zu überlassen. Da die Entscheidung ja auch immer vom soziokulturellen Hintergrund geprägt ist.
„Die Versuche die Abstinenz von Tabak oder den Konsum von weniger schädlichen Produkten zu erhöhen sind zum Teil zu konkurrierenden Positionen geworden; durch die emotionalen Reaktionen, die die Betrachtung dieser Versuche beeinflussen.“
Prof. Dr. Lynn Kozlowski, Dezember 2017
Beides sollte möglich sein
Er beschreibt daher eine vernünftigere Herangehensweise. „Es ist, als wenn Wissenschaftler an ihre eigenen Teenager denken würden. Würde der Teenager kein riskantes Verhalten zeigen, läge die Priorität darauf zu vermeiden, dass es jemals dazu kommt.“ erklärte Kozlowski in seiner Analyse. „Aber wenn die Tochter oder der Sohn bereits raucht, hoffen die Eltern darauf wenigstens zu erreichen, dass er oder sie ein weit weniger riskantes Produkt benutzt.“
Durch die sehr einseitige Argumentation der Dampfgegner dürfte bei Dampfern inzwischen jedoch der Eindruck verhärtet sein, dass Wortführer wie die WHO und das DKFZ eher diejenigen im Auge haben, die nicht Rauchen. Und dabei schlicht ignorieren, dass durch die E-Zigarette inzwischen Millionen von Menschen den Absprung vom Tabak geschafft haben.
Um eine Abstinenz zu unterstützen und die eigene Arbeit und Einkommen nicht zu gefährden, werden diejenigen Fakten von den entsprechenden Stellen nicht genannt, die vor allem den Dampfern wichtig erscheinen. Beispielsweise dass E-Zigaretten 95% weniger schädlich sind oder dass über 98% der Konsumenten ehemalige Raucher sind. Und das führt zu einer mangelhaften Aufklärung in der Gesellschaft. Vor allem im deutschsprachigen Raum.
Entscheidungen bereits getroffen
Die Moralpsychologie ist nicht wertend. Sie erforscht und beschreibt, bewertet aber nicht ob eine Vorstellung gut oder schlecht ist.
Als Psychologe entlarvt Kozlowski natürlich die emotionale und moralische Triebfeder der Genussfeinde, Abstinenzler und Dampfgegner. Kann dies jedoch wundervoll neutral verpacken.
„Vertreter beider Positionen werden bereits entschieden haben, welches ihre bevorzugte Strategie ist. Beruhend auf ihrer anfänglichen, kurzfristigen, psychologischen Reaktion, welches die wichtigere Vorgehensweise ist.“
Prof. Dr. Lynn Kozlowski, Dezember 2017
Dampfgegner und Erdmännchen: https://www.vapers.guru/2017/12/17/dampfgegner-und-erdmaennchen/
Die Veröffentlichung im Original: https://read.dukeupress.edu/jhppl/article/42/6/1099/132093/Minors-Moral-Psychology-and-the-Harm-Reduction
Joey Hoffmann
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