Schon vor neun Tagen machte die Welt, ein zur Boulevard Presse absteigendes Nachrichtenblatt, in einem Aufmacher darauf aufmerksam, dass einige Aromen in Liquids „ungesünder“ sind als andere.
Diese Meldung wird seit dem von verschiedenen Medien aufgegriffen.
Rochester ist ein Städtchen mit 200.000 Einwohnern im Bundesstaat New York. Es liegt am Lake Ontario, direkt an der Grenze zu Kanada.
Eine Universität in einem solchen Städtchen ist eher ungewöhnlich. Die University of Rochester ist eine private Universität mit etwa 9300 Studenten. Zum Vergleich: Die Universität zu Köln hat etwa 49.000 Studenten.
Es geht also eher beschaulich zu in Rochester.
Bereits am 11. Januar veröffentlichte der Toxikologe Dr. Thivanka Muthumalage von der University of Rochester eine Studie, in der verschiedene Aromastoffe und Liquids ohne Nikotin auf ihre Toxizität geprüft wurden.
Dass diese erst drei Wochen später von den Medien aufgegriffen wurde zeigt, dass hier offensichtlich eine Nachrichtenagentur nachgeholfen haben muss. Wahrscheinlich war es Reuters, denn einige spätere englischsprachige Artikel beziehen sich auf das Portal.
Einige Aromen giftiger als andere
Erkenntnis der Studie soll sein, dass einige Aromen, so wörtlich, „giftiger“ als andere sind.
Dem aufmerksamen Leser wird beim Studium der Meldungen jedoch auffallen, dass in keinem einzigen Artikel gesagt wird, wie giftig sie sein sollen.
Das wäre auch unmöglich zu beantworten, denn das gibt diese Studie überhaupt nicht her. Sie hat lediglich Aromen miteinander verglichen und festgestellt, dass einige giftiger sind als andere.
Das mag für wissenschaftliche Grundlagenforschung in der Toxikologie spannend sein. Doch die Erkenntnis beinhaltet für den Laien eigentlich keine relevante Information.
Apfelkerne enthalten beispielsweise Amygdalin, was im Körper zu Blausäure umgewandelt wird. Damit sind sie deutlich giftiger als Wasser. Dennoch käme kein Laie auf die Idee, Äpfel als giftig zu bezeichnen.
Um ein Risiko einschätzen zu können, benötigt man eine Relation. Einem Wissenschaftler reicht die Aussage, etwas sei toxisch. Denn er weiß, dass damit eigentlich keine konkrete Aussage über ein Risiko getroffen wird. Es geht nur um eine theoretische Feststellung.
„Zimt-, Vanille- und Butteraroma-Chemikalien stellten sich in unseren Tests als die giftigsten heraus.“
Dr. Thivanka Muthumalage, University of Rochester, Quelle: Welt, 06.02.2018
Menschliche Zellen in Liquid getränkt
Die Forscher um Muthumalage haben sehr einfache in vitro („im Glas“, i.e. in der Petrischale) Versuche durchgeführt. Dazu haben sie zwei verschiedene Arten von Zellen 24 Stunden in Aromen bzw. nikotinfreien Liquids getränkt, um die Schädigung einschätzen zu können.
Der bei Dampfern bekannte Vorstand der Pharmakologie und Toxikologie an der Universität Graz Prof. Dr. Bernd Mayer hat mehrfach darauf hingewiesen, dass man Zellen bei in vitro Versuchen beliebig mit Stoffen „malträtieren“ kann, um so zu einem erwünschten Ergebnis zu kommen.
Eine Aussagekraft über die Reaktion einer lebenden Zelle in einem Organismus mit entsprechenden Abwehrreaktionen ist mindestens schwierig.
Getestet haben die Forscher in New York offenbar gezielt solche Aromen, von denen sie annehmen konnten, dass entsprechend heikle Aromastoffe enthalten sein würden. Auf der Liste finden sich vor allem Kirsch, Zimt, Gebäck und ähnliche Geschmacksrichtungen.
Nach diesem Prozedere wurden die Zellen einem Test auf Schädigung unterzogen. Es wurde die „Inflammatory Response“ geprüft, also ob sich nach den 24 Stunden Anzeichen auf entzündliche Vorgänge zeigten.
Von einigen Liquids auf „die E-Zigarette“ geschlossen
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass bei einigen Liquids als Hersteller lediglich „Smokers Choice Rochester“ angegeben wurde.
Smokers Choice ist jedoch eigentlich kein Liquid Hersteller, sondern eine Kette von Tabakwaren Läden. Es scheint sich dabei um so etwas wie eine Hausmarke zu handeln, die außerhalb der Kette jedoch nirgendwo angeboten wird.
Offensichtlich wurden hier also keine Liquids beispielsweise nach der Beliebtheit am Markt ausgewählt. Sondern es wurden Liquids nach Geschmacksrichtung bei einem örtlichen Tabakhändler eingekauft.
In seinen Bewertungen lehnt sich das Forscher Team jedoch weiter als andere Forscher aus dem Fenster.
Denn sie schlussfolgern nicht nur, dass diese Toxizität eine Auswirkung auf die Dampfer haben könnte. Sondern sie weisen diese Schädlichkeit auch ganz konkret der E-Zigarette zu.
„E-Zigaretten unterliegen der populären Fehleinschätzung, dass sie relativ wenig oder keinen Schaden an der Gesundheit der Konsumenten im Vergleich zu konventionellen, verbrennbaren Zigaretten verursachen.“
Inflammatory and Oxidative Responses Induced by Exposure to Commonly Used e-Cigarette Flavoring Chemicals and Flavored e-Liquids without Nicotine, Muthumalage et al., 11.01.2018
Interessante Liste von Aromastoffen
Interessant ist diese Schlussfolgerung vor allem in Bezug auf die Stoffe, die getestet wurden.
Als erstes zu nennen wäre sicher der „giftigste“ Aromastoff, dass Zimtaldehyd.
Zimtaldehyd ist der Hauptaromastoff der Rinde des Zimtbaumes. Es ist also generell in Zimt enthalten. Extrahiert ist es in Kaugummi, Eiscreme, Zahnpasta, Mundwasser und sogar Lippenstift zu finden. Als Duftaroma findet man es auch in Waschmitteln und schweren Parfums mit orientalischem Charakter.
Acetoin hat eine buttrige Note und ist eine Art Vorstufe von Diacetyl. Es ist natürlicher Bestandteil von Butter, Joghurt, Äpfeln, Spargel, Brombeeren, Weizen, Brokkoli, Rosenkohl, Honigmelonen und vielem mehr.
Maltol verrät durch seinen Namen bereits, worin es häufig vorkommt. In Malz (also Gerste, Weizen, Roggen, Dinkel etc.) und Karamell. Es wird als Geschmacksverstärker in Süßigkeiten genutzt. Auch bei Fruchtaromen, weshalb man es auch in Limonaden findet.
Stoffe in Deutschland gar nicht erlaubt
Spannend sind sicher drei weitere Aromastoffe, die getestet wurden. Und die tatsächlich nicht unumstritten sind. Cumarin ist ein natürlicher Pflanzenstoff, der traditionell in die Maibwole gehört. Er findet sich auch in verwelkenden Waldmeisterblättern und wird auch als mexikanische Vanille bezeichnet.
Pentadion und Diacetyl werden vor allem wegen ihres als „buttrigen“ beschriebenen Geschmack verwendet. Vor allem das Diacetyl ist dadurch bekannt geworden, das es die so genannte Popcorn Lunge verursachen kann.
Diese Erkrankung heißt korrekt eigentlich Bronchiolitis obliterans und hat nichts mit Popcorn zu tun. Sie wird nur in der Gemeinsprache inzwischen als solche bezeichnet, nachdem einige Mitarbeiter eines Herstellers für Mikrowellenpopcorn ihren Arbeitgeber verklagt hatten, weil die Arbeit mit diesem diese Erkrankung hervorgerufen haben sollte. Den Prozess um die in den Medien als „Popcorn Workers Lung“ bezeichnete Schädigung haben diese jedoch verloren. Denn einen endgültigen wissenschaftlichen Nachweis gibt es auch dafür nicht.
Die drei als letztes bezeichneten Aromastoffe sind in Deutschland durch die Tabakerzeugnisverordnung verboten. Sie dürfen also in Deutschland überhaupt nicht in Liquids verwendet werden.
Und so findet sich auf der Liste der getesteten Liquids auch nur ein Hersteller, der auch Produkte in Deutschland anbietet. (Cuttwood, wobei nicht ersichtlich ist, welche Stoffe die zwei getesteten Liquids enthalten haben.)
Unterschied zwischen Inhalieren und Schlucken
Spätestens hier haben also die Medien einen fundamentalen Fehler begangen. Indem sie Liquids als „giftig“ und die E-Zigarette per se als gefährlich einstufen, obwohl die vermeintlich gefährlichsten Stoffe in Deutschland gar nicht in Liquids enthalten sind.
Dass Meeresfrüchte in Südostasien mit Antibiotika vollgepumpt werden bedeutet nicht, dass alle Krabben und Krebse weltweit Antibiotika enthalten.
Nun wird der bauernschlaue Leser natürlich darauf hinweisen, dass es ja ein Unterschied ist, ob man einen Aromastoff isst oder inhaliert. Das ist selbstverständlich richtig.
Aber eben diesen Unterschied haben die Forscher ja gar nicht gemacht. Sie haben eben nicht untersucht, wie die unterschiedliche Verstoffwechselung mit den Aromastoffen umgeht.
Sie haben lediglich menschliche Zellen aus dem Brustfell und dem Blut mit den Liquids in Kontakt gebracht. Ein Kontakt, der im lebenden Organismus weder bei Verschlucken noch beim Inhalieren tatsächlich stattfindet.
Alle Aussagen sind also ebenso auf den Verzehr und sogar den Hautkontakt mit diesen Stoffen zu übertragen.
Fragwürdige Zitate
Prof. Dr. Farsalinos, einer der Vorreiter des Dampfens und Kardiologe der Universität Patras in Griechenland, hat sich zu dieser Studie gegenüber Reuters in einer Email geäußert.
Diese in englischsprachigen Medien zitierte Aussage wird auch vom deutschen Dampferportal Egarage aufgegriffen. Da heißt es u.a. „Egal ob selbst gemischt oder fertig gekauft, die Menge an Aromen bestimmt das Ausmaß negativer Effekte.“
Es ist bedenklich, dies auf einer solchen Plattform so zu zitieren. Zumal auch überhaupt nicht ersichtlich ist, wie Farsalinos sich im Weiteren dazu geäußert hat.
Denn die Aussage ist aus wissenschaftlicher Sicht vollkommen richtig. Doch auch sie gibt keinerlei Hinweis darauf, wie groß eine Gefährdung sein könnte.
„Man rechnet damit, dass komplexe Mixturen oder höhere Dosen ungünstigere Effekte auf isolierte Zellen im Labor haben.“
Prof. Dr. Konstantinos Farsalinos per Mail, Quelle: Eyewitness News, 12.01.2018
Edit, 12:41: Im ursprünglichen Text glaubte ich einen Übersetzungsfehler durch die Egarage aus einem Artikel der Plattform Eyewitness News gefunden zu haben. Die Übersetzung war jedoch völlig in Ordnung, offenbar habe ich während der Recherche das eigentliche Zitat verwechselt. Dafür entschuldige ich mich.
Herzlichen Dank für den Hinweis an Sebastian von Vapoon.
Joey Hoffmann
Drei fundamentale Fehler
Diese Studie ist eine der eher seltenen Fälle, in denen man eine Voreingenommenheit bereits bei den Forschern selber deutlich erkennen kann.
Denn von einer Toxizität von Stoffen auf eine Schädlichkeit von E-Zigaretten zu schließen ist aufgrund dieser Studie nicht möglich. Schon gar nicht auf die E-Zigarette an sich.
Die Studie wurde unterstützt von der FDA. Was ein zusätzliches Geschmäckle an die Aussagen der Forscher gibt.
Denn der neue Chef der mächtigen Zulassungsbehörde Dr. Scott Gottlieb hat im vergangenen Jahr ein Umdenken bezüglich der E-Zigarette angekündigt und viele Regulierungen auf Eis gelegt. Innerhalb der Behörde scheint es nun zu einem Engagement zu kommen, durch einige sehr fragwürdige wissenschaftliche Erkenntnisse die Ressentiment gegenüber der Dampfe aufrecht zu erhalten.
Die Medien schießen gleich in zweifacher Hinsicht über das Ziel hinaus.
Zum ersten erkennen sie eine grundsätzliche Giftigkeit von E-Zigaretten. Obwohl nur wenige Liquids getestet wurden, von denen wiederum die meisten gar nicht in Deutschland zugelassen sind.
Und zum zweiten weisen sie diese Giftigkeit ausdrücklich der E-Zigarette zu. Doch eine kurze Recherche hätte gezeigt, dass diese Giftigkeit auch auf viele andere Konsumgüter und Lebensmittel zutrifft.
Überschriften wie „Diese Waschmittel sind die ungesündesten“ oder „Süßigkeiten unterschiedlich giftig“ wären aufgrund dieser Studie genauso gerechtfertigt wie „Lippenstifte enthalten Gift“.
Studie im Original: https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fphys.2017.01130/full
Bericht zur Popcorn Lunge: https://www.vapers.guru/2015/12/27/bald-sind-wir-alle-tot-popcorn-lunge/
Joey Hoffmann
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