Aus, Schluss, ich streiche die Segel. Seit drei Stunden versuche ich den Sinn einer Studie über die E-Zigarette zu erfassen. Chancenlos. Weil das Ganze ein völlig absurder Zirkus aus Annahmen und Zahlenspielen ist.
Bevor ich mir aber in den frühen Morgenstunden ein Bier aufreiße, oder wohlmöglich irgendwann eingefangen werde, weil ich versuche mit dem nackten Arsch auf der Straße Schmetterlinge zu fangen, beschreibe ich Euch einfach einmal im Blog die Reise ins Wunderland.
Das recht seriöse Magazin Zeit Online veröffentlichte am vergangenen Mittwoch einen Artikel, in dem die Redakteurin eine Studie von einem Dr. Soneji vom Darthmouth Institute aufgriff.
Der Artikel selber war auch schon Unfug, aber das lassen wir jetzt einmal beiseite. Es wird absurd genug.
Das Darthmouth College gehört zur sogenannten Ivy League in den USA und damit zu den prestigeträchtigsten Bildungseinrichtungen der USA.
Die Studie trägt den schmucken Namen „Quantifying population-level health benefits and harms of e-cigarette use in the United States“. (In etwa „Bewertung des gesundheitlichen Nutzens und Schadens von E-Zigaretten für die Bevölkerung in den Vereinigten Staaten“)
Soneji ist jedoch keineswegs Mediziner, sondern Mathematiker und Statistiker.
Akademiker sind anders, Wissenschaftler noch mehr
Dazu muss ich vielleicht meinen Blick auf Akademiker erläutern, dann wird es etwas verständlicher.
Die meisten Akademiker lernen in den ersten Semestern so zu sprechen, dass sie keiner mehr versteht. Das hat nicht nur etwas mit Fremdwörtern zu tun. Denn das macht ja meist noch Sinn. Ein Mediziner, der einen Blinddarm entfernt, würde große Probleme bekommen. Was wir mit Blinddarm meinen, ist nämlich nur der Apendix. Er sollte sich also darauf beschränken.
Wegen dieses Wortreichtums können Akademiker auch wunderschön beleidigen. Ein Psychologe würde niemals sagen, dass jemand doof ist. Sondern er würde eher sagen, dass die kognitiven Fähigkeiten tendenziell etwas eingeschränkt sind. Bedeutet das Gleiche, hört sich aber viel netter an.
Im Laufe des Studiums verschieben sich bei Akademikern aber auch die üblichen Bewertungsmaßstäbe.
Das wurde mir bereits als Heranwachsender klar, als der Orthopäde meine Röntgenbilder sah und mir strahlend verkündete, ich habe eine wunderschöne Biegungsfraktur. Was mir das Abstehen meines Zeigefingers in merkwürdigem Winkel erklärte, aber gar nicht wunderschön vorkam.
Es geht immer noch mehr
Es ist ein offenes Geheimnis, dass viele Akademiker dazu neigen, eventuell nötige Relationen für das tägliche Miteinander zu vergessen. Oder um es anders zu formulieren: Die knallen durch. Nach oben offen, ziehen irgendwo Luft, nicht alle Nadeln an der Tanne.
Am Eindrücklichsten sieht man das, wenn Psychologiestudenten eine Selbstanalyse verfassen müssen. Ein ungewöhnlich hoher Anteil kann danach Musik schmecken oder Bäume hören.
Das ist in dem Fall nicht gefährlich, es lässt sich wieder. Nichts, was ein schöner LSD Trip nicht auch hinbekommt.
Und ein Großteil der Psychotherapeuten hat eh selber eine leichte Delle am Helm. Das gehört zur Jobbeschreibung.
Ich habe nur manchmal den Eindruck, dass vor allem Statistiker und Mathematiker sich gerne einmal derart in ihren Zahlenspielen verlieren, dass sie sich dabei etwas von Gravitation verabschieden.
Es erscheint logisch, dass jede Deutsche etwa 1,3 Kinder zur Welt bringt. Doch auch wenn klar ist, dass damit der Durchschnitt gemeint ist, verursacht es doch immer wieder merkwürdiges Kopfkino. Und das ist noch ein sehr harmloses Beispiel.
Garbage in, garbage out
Unser Freund Samir Soneji aus Hanover in New Hampshire wollte nun also eine Aussage darüber treffen, ob die E-Zigarette einen Nutzen für die Bevölkerung bringen kann.
Dazu wollte er ein Modell nutzen, eine so genannte Simulation. Man schmeißt oben ein paar Zahlen rein, sagt der Maschine wie sie Rechnen soll, zieht einmal am einarmigen Banditen, und bekommt Ergebnisse heraus.
Jedem Laien ist sofort verständlich, dass das Ergebnis also nur so gut sein kann, wie die Zahlen die man oben rein schmeißt. Und die Rechenwege, die man vorher eingibt.
Oder wie Prof. Dr. Bernd Mayer die Arbeit auf seinem Facebook Profil kommentierte: „Garbage in, garbage out.“ (Müll rein, Müll raus.)
Für die Handwerker unter uns ist das das wissenschaftliche Äquivalent zum Azubi, der mit dem falschen Werkzeug wiederkommt. Schickste Scheiße, kriss’e Scheiße.
Denn wie den meisten Dampfern bekannt sein wird, gibt es noch kaum verlässliche Zahlen zur E-Zigarette. Es gibt wenig zuverlässige Erhebungen. Diesen Mangel hat Dr. Soneji mit einem beachtenswerten Maß an Fantasie ausgeglichen.
Wie, die Studie hat ein Ziel?
Zunächst wollte er herausfinden, wie viele Erwachsene auf die E-Zigarette umgestiegen sind. Und mindestens sieben Jahre vom Tabak abstinent bleiben würden. Das hat er mit einem bunten Blumenstrauß von vorherigen Studien ermittelt.
Die Verlässlichkeit dieser Studien geht aber aus seiner Arbeit überhaupt nicht hervor. Er hat sie nicht beurteilt.
Dann wollte er wissen, wie viele Jugendliche durch die E-Zigarette ans regelmäßige Rauchen kommen.
Nun, dafür gibt es eine sehr aussagekräftige Erhebung von Dr. Linda Bauld von der Universität Sterling. Die ist erst im vergangenen Jahr erschienen. Die Studie von Soneji ist jedoch offenbar deutlich älter und nutzt Zahlen von 2015 bzw. 2014. Scheinbar hat das Review des Journals PLOS one so lange gedauert.
Für die Zahlen von Dr. Bauld wurden die Erhebungen von 600.000 Schülern über einen Zeitraum von zwei Jahren genutzt und sie kommt dabei auf 0,1% bis 0,5% regelmäßiger E-Zigaretten Konsumenten (mindestens wöchentlich) die zuvor nicht geraucht haben.
Wie viele von denen danach Raucher geworden sind, darf spekuliert werden.
Signifikant andere Zahlen
Soneji kommt auf ganz andere Zahlen. Und das war der Moment, in dem ich dann auch geistig ausgestiegen bin. Denn er kommt mit Mitteln, die wohl eher Zauberern auf Kindergeburtstagen vertraut sein dürften, auf einen Anteil von 3,5%.
Dann nimmt er eine seiner eigenen Studien zur Hand, vermischt das ein wenig mit anderen Erkenntnissen, ein wenig statistischem Kauderwelsch, mathematischen Formeln und heraus kommt die Erkenntnis, dass von denen bummelig 13% dann auch Tabakzigaretten ausprobieren würden. Wovon dann wiederum fast die Hälfte bis zum 39. Lebensjahr zu regelmäßigen Rauchern wird.
Wie viele davon auch ohne E-Zigarette angefangen hätten zu rauchen, kann man natürlich nicht ermitteln. Aber das ist angesichts dieser erstaunlichen Ergebnisse sicher zu vernachlässigen.
Das alles legt er dann darauf um, wie viele Lebensjahre ein regelmäßiger Raucher weniger lebt. Also „verliert“. Dabei kommt die sensationelle Zahl heraus, dass durch die E-Zigarette über 1,5 Millionen Lebensjahre verloren gehen.
Die Medien. Natürlich.
Es beginnt nun auf Zeit Online, was vorhersehbar war.
Die Medien greifen diese Meldung begierig auf. Schlechte Nachrichten verkaufen sich besser als gute Nachrichten.
Und wie nicht anders zu erwarten, überprüft nicht ein Redakteur die Ergebnisse.
Dazu muss man nicht einmal so wenig von Statistik verstehen wie ich. Und ich habe mich immerhin zwei Semester durchs Grundstudium gequält. (Statistisch hätte ich mich für die Kosten der Bücher zwei Semester lang täglich betrinken können. Mit dem gleichen Lerneffekt.)
Die Redakteure müssten auch nicht andere Arbeiten prüfen, wie die der oben erwähnten Linda Bauld aus Schottland.
Sie müssten nur einmal die Veröffentlichung selber überfliegen. Denn dort stehen wissenschaftlich korrekt auch einige bemerkenswerte Hinweise, die jeden Redakteur zurückschrecken lassen sollten.
„Our study has some potential limitations.“
Unsere Studie hat einige potentielle Grenzen.
„First, we do not know if e-cigarette use causes cigarette-smoking initiation in adolescents and young adults. […]“
Quantifying population-level health benefits and harms of e-cigarette use in the United States, Sonji et. al., 2018
„Erstens wissen wir nicht, ob der Gebrauch von E-Zigaretten das Zigarettenrauchen bei Heranwachsenden und jungen Erwachsenen verursacht.“
Wat? Kann ich das bitte nochmal lesen?
Jetzt mal ehrlich, seid Ihr völlig durchgeknallt?
Ihr macht eine Studie, ob Dampfen eine Gefahr für die Bevölkerung birgt. Kommt dann zu dem Ergebnis, dass es gefährlich ist, weil dadurch mehr Menschen anfangen als aufhören zu rauchen. Und dann schreibt ihr in die Studie rein, ihr könnt das nicht beurteilen, weil Ihr nicht wisst, ob Dampfen überhaupt zum Rauchen führt?
Wer hat die Studie durchgeführt? Die Monthy Pythons Academy?
Oder war das so eine Beschäftigungsmaßnahme in einer Geschlossenen? Dachte die kleben nur Papiertüten oder bauen Kugelschreiber zusammen.
„Second, we do not know the type of e-cigarette currently used by cigarette-smoking adults. […]“
Quantifying population-level health benefits and harms of e-cigarette use in the United States, Sonji et. al., 2018
„Zweitens wissen wir nicht, welcher Typ von E-Zigarette derzeit von rauchenden Erwachsenen verwendet wird.“
Für einen Statistiker mag das ein Unterschied sein, einfach weil jeder veränderte Faktor eine statistische Fehlerquelle darstellen kann. Aber welche Relevanz hat das den bitte, wenn man… Moment, ich muss den ersten Punkt nochmal lesen.
„Third, in our calculation of benefit, we did not consider the possibility that e-cigarette use among current cigarette smokers leads to a reduction in the intensity of cigarettes smoked per day. […]“
Quantifying population-level health benefits and harms of e-cigarette use in the United States, Sonji et. al., 2018
„Drittens haben wir in unserer Berechnung des Nutzens nicht die Möglichkeit bedacht, dass der Gebrauch von E-Zigaretten bei Rauchern zu einer Reduzierung der Zigaretten die pro Tag geraucht werden führen könnte.“
Gut, so Kleinigkeiten kann man dann ja auch mal vernachlässigen. Was sind schon ein paar hunderttausende Lebensjahre hier und da.
„Fourth, we did not consider the potential population-level health benefit or harm of e-cigarette use among former cigarette smokers because no published trials or cohort studies assessed whether e-cigarette use among former cigarette smokers led to higher or lower rates of relapse to cigarette smoking. […]“
Quantifying population-level health benefits and harms of e-cigarette use in the United States, Sonji et. al., 2018
„Viertens haben wir den potentiellen Nutzen oder Schaden für die Bevölkerung durch E-Zigaretten Gebrauch unter früheren Rauchern nicht berücksichtigt, denn keine Studien stützen ob der E-Zigaretten Gebrauch unter früheren Rauchern zu höheren oder niedrigeren Rückfallraten zum Rauchen führt.“
Ok, kann man tatsächlich vernachlässigen.
Nicht, dass es nicht wichtig wäre. Aber da steht so viel Ziegenpisse drin, da spielt das auch keine Rolle mehr.
Ein einfacher Vergleich der Relation
Nur um die Zahlen einmal zu verdeutlichen; denn an denen wird deutlich, welcher völlig durchgeknallte Schwachsinn da errechnet wurde.
Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass in dem untersuchten Zeitraum 2070 erwachsene Raucher 2015 auf die E-Zigarette umsteigen würden und mindestens sieben Jahre lang Abstinent bleiben würden.
Und das in einem Land, in dem die Dampfer derzeit auf etwa 9 Millionen geschätzt werden. Das, nachdem Dr. Farsalinos anhand des Eurobarometers von 2014 errechnet hat, dass bis zu dem Zeitpunkt bereits sechs Millionen Menschen in Europa mit Hilfe der E-Zigarette aufgehört haben zu rauchen.
Das ist doch mal eine Hausnummer.
Noch spannender wird es, weil der Zahl 168.000 Heranwachsende und junge Erwachsene gegenübergestellt werden.
Aber nicht etwa welche, die die E-Zigarette ausprobieren. Oder die regelmäßig Dampfen. Sondern die durch die E-Zigarette anfangen zu rauchen. (Siehe Punkt 1)
Prof. Dr. Bernd Mayer hat dazu eine einfache Gegenüberstellung auf seinem Facebook Account präsentiert.
In Großbritannien dampfen gerade etwa 2 Millionen Menschen. Würde diese Relation stimmen, müssten bis dato über 160 Millionen Heranwachsende und junge Teenager durch die E-Zigarette ans Rauchen gekommen sein.
Aber nicht nur, dass Großbritannien die niedrigsten Raucherzahlen verzeichnet, die jemals gemessen wurden. Nicht nur, dass die Erhebungen von Stirling und der Gesundheitsorganisationen etwas ganz anderes sagen. Großbritannien hat überhaupt nur 65 Millionen Einwohner. Nicht einmal halb so viele, wie nun Jugendliche rauchen sollen.
Zu intelligent für Normal?
Ein Mathematik Professor kommt zu spät zur Vorlesung. Ein letzter Student verlässt gerade den Hörsaal. Also stellt der Prof sich vor den Hörsaal und wartet, bis ein verspäteter Student an ihm vorbei hineingeht. Der Student sieht den leeren Hörsaal, dreht sich um und erwischt gerade noch den Prof, der sich bereits auf den Weg zu seinem Büro macht.
Er fragt ihn, warum keiner da sei. Worauf der Prof ihm erklärt, er sei selber zu spät gekommen. Verwundert guckt der Student den Prof an und fragt, worauf er denn dann gewartet hätte.
„Dass einer reingeht. Damit keiner mehr drin ist.“
Manche Wissenschaftler sind derartig in ihrer Welt, dass sie jeglichen Bezug zur Realität verloren haben.
Anders ist es nicht zu erklären, dass hochintelligente Wissenschaftler eine Atombombe entwickeln und allen Ernstes davon ausgehen, dass nicht irgendwann ein Durchgeknallter kommt und den roten Knopf drückt. Es macht einfach keinen Sinn für sie.
Sie errechnen etwas, was ihrer Ansicht nach irgendwie Sinn macht. Rechnen aber offensichtlich nicht damit, dass Medien und Politiker die Erkenntnis verkürzen und zu ihren Zwecken einsetzen. Und dadurch eventuell andere zu Schaden kommen.
Und während ich diese Zeilen schreibe, erreicht mich die Meldung, dass Dr. Soneji soeben mit seiner pantomimischen Darstellung von Pi bis zur millionsten Nachkommastelle begonnen hat. Denn die Leitung des Kompetenzteams zur Errechnung der Fertigstellung des Berliner Flughafens und die Übersetzung aller Fibonacci-Zahlen in aztekische Petroglyphen haben ihn nach dieser Arbeit wohl nicht ausgelastet.
Wo wäre die Menschheit nur ohne?
Danke.
Der Artikel auf Zeit Online: http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2018-03/e-zigaretten-rauchen-jugend-jugendschutz-entwoehnung
Studie auf PLOS one: http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0193328#pone.0193328.s003
Artikel zur Studie von Dr. Linda Bauld: https://www.vapers.guru/2017/09/01/studie-widerlegt-gateway/
Joey Hoffmann
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