Am späten Nachmittag ging gestern die Podiumsdiskussion in Berlin zu Ende, die von der eGarage mit Unterstützung des BfTG organisiert wurde.
Die Prominent besetzte Runde machte vor allem eines sehr deutlich. Die Politik ist noch lange nicht auf dem Informationsstand, auf dem eine inhaltliche Debatte über Details überhaupt umsetzbar wäre.
Bereits zum zweiten Mal hat die eGarage zu einer Podiumsdiskussion geladen, um einen Einstieg in den direkten Dialog mit der Politik zu finden.
Gesponsort und organisatorisch unterstützt wurde die Veranstaltung vom Bündnis für Tabakfreien Genuss BfTG.
Diese Veranstaltung unter dem Titel „Politik fragt Wirtschaft und Wissenschaft: Wie weiter mit der E-Zigarette?“ wurde mit einiger Spannung erwartet. Die zaghaften Anfänge im letzten Jahr wurde durch die Bundestagswahl und die Regierungsneubildung durchkreuzt.
Man versprach sich viel, die Hoffnungen waren groß. Die gestern anwesenden Politiker werden voraussichtlich noch eine ganze Legislaturperiode im Amt sein. Somit bieten sich sicher auch weitere Möglichkeiten anschließende Gespräche aufzunehmen.
Prominenz auf dem Podium und im Plenum
Es waren auch einige größere Medien vertreten. So hatten sich Vertreter des Tagesspiegels, der DPA und der Welt eingefunden. Und sogar der Sender Phoenix zeigte Interesse und war anwesend.
Ort des Austausches war die Landesvertretung Hamburgs in Berlin, unweit des Gendarmen Marktes. Im neuralgischen Zentrum der Regierung Deutschlands.
Für die Moderation konnte man einen professionellen und versierten Medienvertreter gewinnen. Frank Wahlig ist politischer Hörfunk-Korrespondent der ARD. Er hatte sich offensichtlich vor der Veranstaltung etwas in das Thema eingearbeitet.
Der sicherlich nennenswerteste Gast war Dr. Hajek, Professor für klinische Psychologie an der Queen Mary University of London und am UK Centre for Tobacco & Alcohol Studies und einer der führenden Suchtexperten Europas.
Er gehört mit Wissenschaftlern wie Polosa, Mayer, Bauld, Farsalinos und anderen zu den Verfechtern der E-Zigarette und der Harm Reduction in Europa.
Erst vor wenigen Wochen hatte er in einer Anhörung des britischen Parlaments als Sachverständiger ausgesagt.
Eröffnung durch Hajek
In einem etwa halbstündigen Impulsvortrag stellte er die Situation in Großbritannien vor. Und die wissenschaftliche Erkenntnisse, welche inzwischen die beispiellos dampffreundliche Politik Großbritanniens bestimmen.
Aus dem Vortrag von Prof. Dr. Hajek
- Das Risiko des Dampfens ist gegenüber der Tabakzigarette um das zehn- bis hundertfache geringer
- In Großbritannien sind 850.000 Menschen vom Rauchen vollständig auf das Dampfen umgestiegen. Weitere 710.000 haben mit der E-Zigarette jegliche Inhalation gestoppt.
- In Großbritannien haben 2016 nur noch 16,9% der Bevölkerung geraucht. Im Jahr 2017 waren es nur noch 15,8%. Das ist der stärkste, jemals gemessene Rückgang.
- Damit hat Großbritannien in Europa den zweitniedrigsten Anteil an Rauchern. Den niedrigsten hat Schweden mit etwa 5%, dort ist Snus erlaubt.
- Unter den 11 – 16 Jährigen dampfen nur 2% regelmäßig. Alle haben zuvor auch geraucht.
- Anders als beim Rauchen werden Passivraucher durch den ausgeatmeten Dampf nicht mit Schadstoffen belastet.
Natürlich ging Hajek auch auf einige beiläufige Aspekte ein. Beispielsweise den aufgebauschten Meldungen in den Medien, die interessanterweise trotz der liberalen Politik auch in Großbritannien stattfinden.
Als Beispiel nannte er die ständig wiederkehrenden Meldungen zu den Funden von Diacetyl im Dampf von E-Zigaretten oder in Liquids.
Einige Arbeiter eines Herstellers für Popcorn waren an Bronchiolitis obliterans erkrankt und machten dafür die hohen Konzentrationen von Diacetyl in der Arbeitsumgebung verantwortlich. Denn Diacetyl ist ein buttrig schmeckender Aromastoff, weshalb diese Erkrankung in den Medien seitdem Popcorn Workers Lung genannt wird.
Unbeachtet bleibe jedoch, so Hajek, dass Zigaretten eine bis zu 100 Mal größere Konzentration an Diacetyl enthalten. Und es keinen Nachweis gebe, dass Diacetyl bei Rauchern jemals zu dieser Erkrankung geführt hätte.
Hajek sah eine klare Einordnung von Argumenten der Gegner der E-Zigarette als moralische Versuche einen „War on drugs“ zu inszenieren, obwohl die wissenschaftliche Erkenntnisse deutlich in eine andere Richtung weisen.
„Dampfen hat gesundheitliche Folgen“
Anschließend hatten die Teilnehmer der Diskussionsrunde Zeit, ihre Standpunkte kurz vorzustellen.
Den Anfang machte Dr. Wieland Schinnenburg von der FDP. Von Hause aus Zahnarzt ist er Mitglied des Ausschusses für Gesundheit des Bundestages.
Als zweites übernahm Niema Movassat, Drogenpolitischer Sprecher der Linken, das Mikrophon.
Zwar versuchten beide Sprecher in ihrem Einstieg einen möglichst aufgeklärten und liberalen Eindruck zu hinterlassen. Unter anderem glänzte Movassat mit dem Wissen, dass 99% aller Dampfer zuvor langjährige Raucher waren.
Doch beide Redner erwähnten klar und unmissverständlich, dass Dampfen „gesundheitliche Folgen“ haben könne und „mitnichten gesund“ sei. Obwohl dies ja eben auch Gegenstand einer Diskussion hätte sein können und sollen.
Auch dieses Argument wurde im Vortrag von Hajek kurz zuvor angesprochen. Denn man müsse die E-Zigarette selbstverständlich mit Tabak und nicht mit frischer Atemluft vergleichen.
Schlagzeilen wirken bis in den Bundestag
Alexander Krauß von der CDU, der ebenfalls im Ausschuss für Gesundheit sitzt, stellte dann grundsätzlich dar, was bei den beiden Vorrednern angeklungen war. Man müsse die E-Zigarette immer aus zwei Perspektiven betrachten. Einerseits aus der Sicht eines Rauchers, der damit eine deutlich risikoärmere Alternative zum Tabak habe. Auf der anderen jedoch den Jugendlichen, der durch die E-Zigarette vielleicht an Nikotin oder gar das Rauchen heran geführt würde.
So kam auch spürbar etwas Bewegung in das Fachpublikum, als er auf die kürzlich im Ärzteblatt erschienene Studie aus Kiel verwies, die von der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung in Auftrag gegeben worden war.
Sie zeigte, dass überdurchschnittlich viele Jugendliche, die zuvor eine E-Zigarette ausprobiert haben, danach angefangen haben zu rauchen. Also, so Krauß, wäre hier ein Zusammenhang erkennbar.
Dass dies jedoch, wie auch von den Autoren der Studie selber erwähnt, gar keinen Rückschluss darauf zulasse, wurde von Prof. Dr. Hajek später nochmals richtig gestellt.
Anhand solcher Erhebungen ist es unmöglich darauf zu schließen, wie viele Jugendlich auch ohne E-Zigarette angefangen hätten zu rauchen.
Als Vertreter des Handels trat als letzter dann Dustin Dahlmann, Vorsitzender des BfTG nach vorne. Der sich und die Tätigkeit des Verbandes kurz vorstellte.
Jugendschutz im Fokus
Was zuvor zu erahnen war, setzte sich dann in weiten Teilen der anschließenden Diskussion fort. Es ging weniger um die Chancen, die die E-Zigarette bietet. Diese wurden offenbar auch von den Politikern anerkannt. Vielmehr ging es hauptsächlich um den Jugendschutz.
Sowohl der Moderator wie auch Dahlmann versuchten das ein um das andere Mal den Fokus von der Bedrohung der Jugend wegzuführen.
Alleine, nicht einmal die Bemühungen der sehr guten Moderation durch Frank Wahlig vermochten das.
Das führte dazu, dass auch Prof. Hajek sich erneut zu dem Thema einschaltete.
Er stellte klar, dass solche Mutmaßungen nicht der Natur von Wissenschaft entsprechen („nature of science“). Vielmehr läge oftmals ein Missverständnis der Zahlen und Fakten durch Politik und Medien vor.
So bemühte er zum Vergleich den Kaffee, dessen Coffein von fast 100% der Bevölkerung konsumiert würde. Wobei sich niemand Gedanken um einen Gateway Effect oder Jugendschutz machen würde.
Erneut erinnerte er an die Zahlen aus Schweden. Dort würden viele nach wie vor Nicotin konsumieren. Nur eben durch den weit risikoärmeren Snus. Die Zahlen des Konsums lägen immer noch bei etwa 20% der Bevölkerung. Und das könne man wohl auch nicht ändern.
Doch sei es ein nachweisbarer Irrglaube, dadurch würden nun auch die restlichen 80% der Bevölkerung beginnen Snus zu konsumieren.
Möglichkeit für Fragen verstrich ungenutzt
Im dritten Teil der Veranstaltung sollte dem Fachpublikum die Möglichkeit für Fragen eingeräumt werden. Dies scheiterte jedoch daran, dass die meisten keine Fragen stellten. Sondern ihrem Bedürfnis nachgaben Statements abzugeben.
So meldete sich Prof. Dr. Christian Witt zu Worte, Lungenfacharzt der Charité.
In einem etwas verloren wirkenden Beitrag stellte er fest, dass eine „Förderung der Nikotinsucht“ in der Bevölkerung nicht wünschenswert sei. Da Dampfer aus medizinischer Sicht Rauchern gleichgestellt würden und somit beispielsweise von Lungentransplantationen ausgeschlossen seien.
Die Medizin fordere als Leistung des Patienten die Abstinenz.
Die Unabänderlichkeit dieser Einstufung und der Zusammenhang zur Diskussion mag sich nur einem praktizierenden Pneumologen erschließen. Er wurde auch von den Politikern nicht weiter kommentiert.
Frank Henkler vom Bundesinstitut für Risikobewertung verwies danach darauf, dass das BfR derzeit die Beobachtung mache, dass es sehr große Unterschiede bei den E-Zigaretten gebe. An einem Ende des Spektrums gebe es die cig-a-likes, die lediglich Zigaretten ersetzen. Und am anderen Ende die „Boxen, die den ganzen Raum einnebeln können“.
Seine Anmerkung, dass ihm die Studien und Zahlen zum Snus unbekannt seien, wurde in einer späteren Wortmeldung mit Erschrecken kommentiert. Was vielleicht auch dadurch erklärbar ist, dass Frank Henkler Doktor der Philosophie ist.
Ein kurzer Ansatz einer Interaktion
Zu Wort meldete sich auch Rochus Knobel aus Bayern, der als Shop Betreiber seine eigene Geschichte und seine Erfahrung im täglichen Umgang mit Kunden wiedergab.
Das war dann überraschenderweise der erste Moment, an dem sich eine echte Interaktion ergab. Denn der Abgeordnete Krauß von der CDU nahm dies zum Anlass, betreffend seiner Sorge der Entwicklung der E-Zigarette zu einem Lifestyle Produkt bei dem Shop Betreiber nachzufragen.
Eine Frage des Moderators brachte dann abschließend eine mögliche Steuer für kurze Zeit in den Fokus.
Niema Movassat von den Linken merkte erneut an, dass die E-Zigarette ja nicht unschädlich sei. Und das man daher über eine Besteuerung nachdenken müsse. Denn eine Steuer sei ja auch immer zum Steuern gedacht und geeignet.
Erwartungsgemäß widersprach Dr. Schinnenburg dem lächelnd aber deutlich. Eine Steuer sei vor allem dazu da, um „dem Staat Geld zu verschaffen“. Wobei er sich aber ansonsten seinem Vorredner anschloss.
Deutlicher wurde Alexander Krauß. Ihm seien keine Pläne bekannt, die E-Zigarette gesondert zu besteuern. Sie fliege derzeit „unterm Radar“.
Humorvoll, nett, oberflächlich
Die etwa zweistündige Veranstaltung war nicht humorlos.
Den Hinweis des Moderators auf seine Tochter, die ständig auf ihr Handy gucke, nahm Krauß mit dem Vorschlag einer Patentanmeldung einer E-Zigarette mit Handy auf. Dem Schinneburg dann als Arzt gezwungenermaßen vehement widersprechen musste.
Hajek verwies in seinem Vortrag zuvor auf eine Untersuchung der Nikotinablagerungen in Wohnungen von Dampfern. Diese hätte eine so geringe Konzentration ergeben, dass ein Kleinkind 30m² ablecken müsse, um 1mg Nicotin aufzunehmen.
Doch auch der humorvolle Umgang miteinander und dem Thema konnte über eine Tatsache nicht hinweg täuschen. Die Veranstaltung war weit von einem echten Austausch entfernt.
Politik nicht an Austausch interessiert?
Nicht nur, dass die Wortmeldungen aus dem Publikum eher Aussagen als Fragen waren.
Die Aussagen der drei anwesenden Bundestagsabgeordneten machten zwei Dinge deutlich.
Zum ersten wurde die Veranstaltung nicht als wirklicher Austausch verstanden. Sondern als eine Talkshow, in der vorgefertigte Standpunkte präsentiert wurden.
Die wissenschaftlich keineswegs erwiesene Behauptung, dass auch E-Zigaretten schädlich seien, wurde häufig wiederholt.
Und zum zweiten zeigte sich, dass der Informationsstand in der Politik bemängelnswert gering ist. Nicht der Inhalt von Studien wurde wiedergegeben, sondern eben jene Überschriften, die von vielen kritisiert und widerlegt werden und häufig durch die Medien geistern.
Nicht die Chancen für die vielen Millionen Raucher wurden diskutiert, sondern der Jugendschutz.
Nicht wissenschaftliche Erkenntnisse wurden ausgetauscht, sondern Befürchtungen und Meinungen.
Schwere erste Schritte
Es ist Grundlage jeder Kommunikation, das vor dem eigentlichen Austausch auf der Sachebene Standpunkte klar gemacht werden müssen. Erst wenn man diese Stufe erreicht hat, kann ein wirklicher Austausch stattfinden.
Leider musste man erneut zur Kenntnis nehmen, dass dieses Stadium in der deutschen Politik nicht erreicht ist. Immernoch gilt es Fronten abzustecken.
Sinnlos war die Veranstaltung deshalb jedoch ganz sicher nicht. Solche Kommunikation ist es, die es überhaupt erst ermöglicht, in einen Dialog eintreten zu können.
Sicher hängt die deutsche Politik Großbritannien um einige hinterher. Wie auch Dustin Dahlmann im zweiten Teil der Veranstaltung betonte.
Doch als Befürworter der E-Zigarette und der Harm Reduction sollte man sich dessen auch ganz bewusst sein.
Eine zu große Erwartungshaltung, ein zu schnelles Vorpreschen, ein zu forsches Auftreten und eine zu offensive Kommunikationsstrategie kann sich kontraproduktiv auswirken.
Einige Beteiligte haben während und nach der Veranstaltung bedauert, für ein derart komplexes Thema sei eine solche Veranstaltung viel zu kurz.
Aber man hat einen weiteren Fuß in eine Türe setzen können.
Es ist davon auszugehen, dass das BfTG dies auch genauso erkannt hat und an neuen Konzepten feilen wird.
Es bleibt viel zu tun
Sicher ist der Wissensstand der Politiker und die Fokussierung auf den Jugendschutz für die gut informierten Dampfer erschreckend. Doch auf der anderen Seite ist es umso positiver, dass eine solche Veranstaltung mit einem angesehenen Professor aus London und Bundestagsabgeordneten im Herzen des Hauptstadt überhaupt stattgefunden hat.
„Prof. Hajek hat den Fachpolitkern handfeste Argumente geliefert, die E-Zigarette neu zu bewerten und ihr mehr gesundheitspolitisches Potenzial zuzugestehen.
Wir sind nun gespannt, wie diese Impulse in der Tagespolitik genutzt werden. Mit dem Verlauf der Diskussion bin ich sehr zufrieden; natürlich ist noch viel mehr Informationsarbeit notwendig, aber es zeigt sich, dass zentrale Fakten längst nicht mehr nur bei den kleinen und mittelständischen Unternehmen unseres Verbands bekannt sind und in Berlin auf Widerhall stoßen.“
Dustin Dahlmann, Vorsitzender BfTG
Umso bedauerlicher ist es, dass die eingeladenen Dr. Edgar Franke von der SPD, die Drogenpolitische Sprecherin der Grünen Frau Dr. Kappert-Gonther und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende für Gesundheit Dr. Georg Nüßlein von der CSU der Einladung nicht gefolgt waren.
Auch dies darf man als Indiz dafür werten, dass das Thema immer noch eher als Jugendschutzthema wahrgenommen wird.
Bis zu der Einsicht, dass es hier letztendlich um Millionen Menschenleben geht, wird es noch ein weiter Weg sein.
Zu der von Krauß eingebrachten Studie: https://www.vapers.guru/2018/04/05/aerzteblatt-missinterpretiert-studie/
Anhörung des britischen Parlamentes: https://www.vapers.guru/2018/01/09/ecig-anhoerung-des-britischen-parlamentes/
Joey Hoffmann
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