Am Freitag veröffentlichte der Ausschuss für Wissenschaften und Technologie seinen Bericht über die E-Zigarette.
Bei aller angemessenen Zurückhaltung kann man die Ergebnisse nicht anders bezeichnen denn als schallende Ohrfeige für alle Dampfgegner.
Das Vereinigte Königreich entwickelt sich in den letzten Jahren zum größten Vorreiter und Vordenker für die E-Zigarette und die Harm Reduction. Das ist sicherlich auch durch sein Gesundheitssystem begründet.
Das Gesundheitssystem ist staatlich organisiert. Der National Health Service ist direkt dem Gesundheitsministerium unterstellt.
NHS unterhält Krankenhäuser und bezahlt die Ärzte. Es ist vergleichbar mit einer staatlichen Krankenkasse in Deutschland, nur mit sehr viel weitreichenden Aufgaben.
Die Beiträge für das Gesundheitssystem werden nicht über Beiträge, sondern über Steuern beglichen.
Daher haben NHS und Regierung ein inhärentes Interesse daran, die Bevölkerung gesund zu erhalten. Höhere Ausgaben gehen unmittelbar zu Lasten des Haushaltes.
Deshalb unterhält der NHS auch eine eigene Exekutive, Public Health England. Diese betreibt auch eigene Forschungen, bei ihr sind 5000 Menschen beschäftigt. Die meisten davon Wissenschaftler.
Bahnbrechende Studie von Public Health England
Im August 2015 wurde von PHE eine erste Studie zur E-Zigarette veröffentlicht.
Für diese hatten die Wissenschaftler über 300 Studien weltweit ausgewertet und kamen zu einem bahnbrechenden Schluss: Die E-Zigarette birgt mehr Chancen als Risiken.
Aus dieser Studie stammt die Aussage, die seit dem häufig zitiert wird. Die Wissenschaftler schätzten das Risiko der E-Zigarette gegenüber der herkömmlichen Zigarette auf mindestens 95% geringer ein.
Im April 2016 schloss sich das Royal College of Physicians dem an. Das ist eine Ärztekammer mit Sitz in London. Das weltweit renommierte Institut wurde bereits von Heinrich dem VIII gegründet.
Doch das Kollegium ging über die Studie von PHE hinaus. In seiner Arbeit „Nicotine without smoke“ (Nikotin ohne Rauch) stellte es sehr klare Forderungen an die britische Regierung.
Diese Arbeit wurde in vielen Medien als „groundbreaker“ und „game changing“ bezeichnet.
Zu Beginn dieses Jahres legte PHE dann noch einmal nach.
Es legte nicht nur Datenerhebungen vor, sondern ging auch in seiner Einschätzung zum Risiko weiter als zuvor.
„Die Daten haben gezeigt, dass das Krebsrisiko des Dampfens unter 0,5% des Krebsrisikos des Rauchens liegt.“
Nicotine without smoke – Tobacco Harm Reduction, Februar 2018, Public Health England
Auch der Wissenschaftsausschuss
Nun sollte sich auch das Komitee für Wissenschaft und Technologie des Unterhauses mit dem Thema befassen.
Dazu hatte es bereits von Januar bis Mai mehrere Anhörungen durchgeführt, die zum Teil live im Internet übertragen wurden.
Angehört wurden Fachleute vieler Professionen, zum Teil auch aus dem europäischen Ausland.
Mit dabei waren unter anderem Prof. Dr. Hajek und der ursprünglich aus Deutschland stammende Dr. Lion Shahab.
Für Erheiterung sorgte Prof. Dr. Polosa aus Italien. Er erklärte anhand eines verbrannten Toastes, was viele Wissenschaftler tatsächlich tun. Sie untersuchten ein Produkt so, wie es kein Konsument nutzen würde.
Polosa war der erste, der eine Langzeitstudie zur E-Zigarette begonnen hatte. Und dafür ebenfalls erstmalig ausschließlich Dampfer ausgewählt hat, die zuvor nicht geraucht hatten. In aufwendigen Scans konnte er auch dreieinhalb Jahre nach Beginn keine Schädigungen bei den Probanden nachweisen.
Am Freitag erschien der Bericht des Komitees.
Und man kann ihn bei aller gebotenen Sachlichkeit und Zurückhaltung nicht anders bezeichnen als eine schallende Ohrfeige ins Gesicht aller Dampfgegner.
Angefangen von Gesundheitsorganisationen über Wissenschaftler bis hin zu Bürgerinitiativen gegen Aromastoffe.
Deutlich weniger Risiko, keine Diskussion
Angesichts der Feststellungen des Ausschusses scheint es fast obsolet anzumerken, was die Abgeordneten als ganz selbstverständlich zu Grunde gelegt haben. Punkte, über die hierzulande noch gestritten wird. Falls sie überhaupt zur Kenntnis genommen werden.
E-Zigaretten sind deutlich unschädlicher als herkömmliche Zigaretten. Und zwar in einem so hohen Maße unschädlicher, dass eventuelle Risiken in der Diskussion zur öffentlichen Gesundheit schlicht zu vernachlässigen seien. Sie spielen nach Ansicht des Ausschusses keine Rolle.
Doch in dem Bericht finden sich einige andere Bonmots, die vielen aus der öffentlichen Diskussion zur Dampfe bekannt sein dürften.
Beispielsweise nahm der Ausschuss die Erläuterung von Prof. Newton von Public Health zu Protokoll, dass man in dem Kontext grundsätzlich niemals von „sicher“ spricht. Weil einfach gar nichts „sicher“ sei. Dass die E-Zigarette aber deutlich weniger Risiko mit sich bringt als herkömmliche Zigaretten.
Ebenfalls aufgenommen wurde die Aussage von Dr. Lion Shahab und Dr. Jamie Brown, dem stellvertretenden Direktor der Tabak und Alkohol Forschungsgruppe des University College London.
Sie äußerten sich zu den oft sensationsheischenden Meldungen der Medien.
„Viele Zeitungen übertreiben gefundene Erkenntnisse, während sie eigentlich korrekt geschrieben sind. Was zum Teil wohl daran liegt, dass sie auf akute und nicht auf chronische Effekte schauen. Und Effekte, die eigentlich nur schwer mit langfristigen Schäden in Verbindung gebracht werden können.
Ein Beispiel ist eine Studie zur Versteifung der Arterien, die gerade veröffentlicht wurde. Daraus wurde geschlussfolgert, dass E-Zigaretten Herzerkrankungen auslösen.
Genau der gleiche Wissenschaftler hatte zuvor eine Studie veröffentlich, die gezeigt hat, dass Sport die Arterien versteift.“
E-cigarettes, Science and Technology Committee, August 2018
Der Ausschuss stellte auch sehr deutlich klar, dass es keinen Gateway Effect bei der E-Zigarette gibt.
Zwar experimentiert ein Viertel bis ein Drittel aller Jugendlichen mit der E-Zigarette. Es käme dabei aber nicht zu einem dauerhaften Konsum.
Lediglich unter einem Prozent der Jugendlichen tendieren zu einem dauerhaften Gebrauch. Aber diese tendieren in der Mehrheit generell zum Rauchen.
Empfehlungen an die Regierung
Der Wissenschaftsausschuss wendet sich mit einigen sehr klaren Feststellungen und Empfehlungen an die Regierung.
- Es gibt eine klare Beweislage, dass E-Zigaretten erheblich weniger schädlich als Tabakzigaretten sind.
Public Health England schätzt die E-Zigaretten 95% weniger schädlich ein.
E-Zigaretten enthalten keinen Teer und Kohlenmonoxid, die gefährlichsten Inhaltsstoffe von herkömmlichen Zigaretten.
Einige potentiell schädliche Komponenten sind in beiden Produkten enthalten, doch in E-Zigaretten in erheblich geringerem Maße.
Forscher fanden es annähernd unmöglich eine Schadstoffbelastung durch „second hand“ Dampf zu messen, da die Belastungen derartig gering waren. - Inzwischen erschienene „Heat not burn“ Produkte (u.a. PMI IQOS, Anm. d. Red.) werden auf 90% weniger schädlich geschätzt, auch wenn dazu derzeit noch unabhängige Studien fehlen.
- Es gibt Unsicherheiten bezüglich den Langzeitfolgen von E-Zigaretten.
Forschungen dazu werden dadurch verhindert, dass es kaum E-Zigaretten Konsumenten gibt, die zuvor nicht geraucht haben.
Letztendlich muss eine Risikoeinschätzung auch beurteilen, was es bedeutet, nicht auf die E-Zigarette umzusteigen. Das bedeutet zwangsläufig weiter zu rauchen, was erheblich schädlicher ist. - Die Beweislage zur Effektivität von E-Zigaretten zum Rauchstopp im Vergleich zu anderen Nikotin Ersatz Therapien (Nikotinpflaster, -kaugummis, etc., Anm. d. Red.) ist lückenhaft.
Nichts desto trotz nutzen in Großbritannien 2,9 Millionen Menschen die E-Zigarette und zehntausende nutzen sie in jedem Jahr zum erfolgreichen Rauchstopp.
Bedenken bezüglich eines Gateways von der E-Zigarette zur normalen Zigarette konnten in keinem bedeutsamen Maße bestätigt werden.
Das Risiko junge Nichtraucher durch Aromen zum Konsum von E-Zigaretten zu bewegen ist vernachlässigbar. - Eine E-Zigarette mit Medikamentenzulassung könnte den Rauchstopp erleichtern, da es Medizinern ermöglichen könnte die E-Zigarette als Instrument zum Rauchstopp mit ihren Patienten zu diskutieren.
Die Regierung sollte mit der Zulassungsbehörde und der E-Zigaretten Industrie die Möglichkeiten diskutieren, um eine Lizensierung für Hersteller zu ermöglichen.
Anmerkung: Das hat nichts mit der in Deutschland stattgefundenen (und beendeten) Diskussion zur „Verbannung in Apotheken“ zu tun.
Hersteller können bereits in UK eine so genannte MHRA Lizenz beantragen. Jedoch wurde bisher kein Gebrauch davon gemacht. - Tabakabhängigkeit ist im Bereich der psychischen Erkrankungen eine Herausforderung. Menschen mit psychischen Problemen rauchen signifikant häufiger. Diese Patenten würden vom Konsum der E-Zigarette profitieren.
Beispielsweise könnten die Patienten in entsprechenden Einrichtungen dampfen, während sie zum Rauchen die Einrichtungen verlassen müssen.
Einige Einrichtungen erlauben bereits den Gebrauch von E-Zigaretten (Nottinghamshire Healthcare NHS Foundation Trust), während drei Viertel solcher Einrichtungen dies wegen der falschen Risikoeinschätzung von „second hand“ Dampf noch unterbinden. - Viele Geschäfte, der Öffentliche Personennahverkehr und Besitzer anderer öffentlicher Plätze unterbinden die Nutzung von E-Zigaretten im gleichen Maße wie das konventionelle Rauchen.
Dafür gibt es keinen rationalen Grund.
Eine weite Diskussion ist nötig, wie man mit dem Dampfen an öffentlichen Orten umgehen soll. Diese beginnt jedoch mit der Beweislage und nicht mit falschen Bedenken zur Gesundheitsgefahr.
Eine Liberalisierung würde dazu führen, dass mehr Raucher die unterschiedliche Risikobewertung der E-Zigarette wahrnehmen. Dem gegenüber stünden lediglich einige Nichtdampfer, die für kurze Zeit dem Dampf ausgesetzt wären. - Einige der derzeitigen Regulierungen verhindern die Nutzung als Mittel zum Rauchstopp.
Die Begrenzung des Nikotins bedeutet lediglich, dass Dampfer öfter ziehen müssen, verhindert aber, dass vor allem starke Raucher auf die E-Zigarette umsteigen.
Die Begrenzung der Füllmenge ist wissenschaftlich in keiner Weise rational.
Ein Verbot von Aussagen zur geringeren Schädlichkeit führt lediglich dazu, dass Raucher, die umsteigen würden, nicht erreicht werden.
Die Regierung sollte alle diese regulatorischen Abweichungen („regulatory anomalies“) überprüfen. - Die Besteuerung von Inhalationsprodukten sollte das Gesundheitsrisiko wiederspiegeln. Um so den Konsum von weniger riskanten Produkten zu unterstützen.
Gemäß dieser Logik sollten E-Zigaretten am geringsten und herkömmliche Zigaretten am höchsten besteuert werden. - Die Regierung sollte die Regulierungen überprüfen, die unter der Legislative der EU erlassen wurden.
Beispielsweise sollte für die Zeit nach dem Brexit auch das Verbot von Snus überprüft werden.
Dies sollte Teil eines Wechsels zu einer risikoabhängigen Regulierung sein. Diese Regulierungen sollten beweisabhängig sein, was auch dabei helfen sollte, dass weniger geraucht und E-Zigaretten und neue Tabakprodukte mehr genutzt und angenommen werden.
Gegenüber solch detaillierten Forderungen müssen die Diskussionen in Berlin und Brüssel geradezu hinterweltlerisch wirken.
Nachhaltige Wirkung zu erwarten
Die Wirkung dieses Berichtes kann noch nicht eingeschätzt werden. Doch er könnte weitreichend sein.
Nicht nur, dass der Ausschuss klare Zeichen setzt für die Änderung der Regulierung nach dem Brexit. Er geht auch sehr konkret auf Regulierungen in anderen Ländern ein.
Beispielsweise erwähnt er das derzeitige Vorgehen der australische Regierung, nimmt Bezug auf das Verbot von Aromen in Finnland, geht mehrfach auf die amerikanische FDA ein und als kleine Spitze erwähnt er, dass der Surgeon General der USA zwar vor angeblichen Langzeitschäden der E-Zigarette warnt, diese aber in keiner Weise belegen oder auch nur einordnen konnte.
„Es gibt zwei Wege, die E-Zigarette zu betrachten. Es gibt die Logik und es gibt die Daten.
Die Logik sagt uns, dass die meisten der Chemikalien, die gefährlich für Raucher sind, in der E-Zigarette nicht vorkommen. Oder höchstens in sehr geringen Mengen. Soweit wir wissen stellt keine der Chemikalien, die nur in E-Zigaretten aber nicht beim Rauchen vorhanden sind, eine relevante Gesundheitsgefahr dar.
Die Daten unterstreichen dies.“
Prof. Dr. Hajek, Queen Mary University London, E-cigarettes, Science and Technology Committee, August 2018
Interessant dürfte in den kommenden Monaten und Jahren auch ein anderer Aspekt werden.
Unter der Federführung des BfTG schließen sich gerade erstmalig Händler aus ganz Europa zusammen. Diese sind zwar durch die EU reguliert. Doch ein europäischer Verband ist nicht an die politischen Grenzen der EU gebunden.
In diesem Verband werden auch die starken Stimmen aus Großbritannien vertreten sein. Die somit gleichsam durch ein Hintertürchen Einfluss auf die EU nehmen könnten.
Auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist durchaus spannend. Denn im kommenden Jahr will die EU Kommission über eine TPD 3 nachdenken.
Und dieser Bericht wird, ob vor oder nach dem Brexit, sicher auch in Brüssel und Straßburg gelesen werden.
Bericht zum Report des Royal College of Physicians: https://www.vapers.guru/2016/05/01/sensationeller-report-aus-london/
Bericht zur Studie von PHE: https://www.vapers.guru/2018/02/07/offizielle-richtungweisende-studie/
Bericht im Original: https://publications.parliament.uk/pa/cm201719/cmselect/cmsctech/505/505.pdf
Joey Hoffmann
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