In den USA zeichnet sich eine dramatische Verschärfung der Situation um die E-Zigarette ab.
Die FDA prüft derzeit ein Verbot aller Aromen in Liquids. Dies würde auch Auswirkungen auf Europa haben.
Es war ein Paukenschlag, was der Leiter der Food and Drug Administration vorgestern Abend in den Hauptnachrichten verkündete.
Die Behörde, die in den USA für die Marktregulierung und die Zulassung von Medikamenten und Lebensmitteln zuständig ist, prüft ein bundesweites Verbot aller Aromen in Liquids.
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Vorgestern Abend war dort der Leiter der FDA zu Gast, Dr. Scott Gottlieb.
Dieser ist in Dampferkreisen vor allem durch seine sensationelle Einstandsrede als neuer Leiter der Behörde im Juli 2017 bekannt.
Nicht nur die Tatsache, dass Gottlieb sich die E-Zigarette als Thema für die erste Erklärung aussuchte. Auch seine sehr faktische Beurteilung sorgte für Aufsehen. So unterstrich der Mediziner und Krebsüberlebende, dass nicht das Nicotin Raucher töte, sondern der Teer. Und das daher die E-Zigarette zwangsläufig weit weniger Risiko mit sich bringe.
Der Wind hat sich gedreht
Doch der Wind in der mächtigen Behörde mit fast 14.000 Mitarbeitern scheint sich gewendet zu haben. Oder Gottlieb ist aufgrund des Gegenwindes in der Realpolitik angekommen.
Um das Bild erfassen zu können, muss man sich drei Faktoren deutlich machen, die für die USA sehr typisch und wichtig sind.
- Die amerikanische Industrie ist sehr viel mehr auf Anwenderfreundlichkeit ausgelegt. Das gilt für alle Bereiche.
In der Branche der E-Zigaretten bedeutet das, dass Aromen zum Selbermischen eigentlich unbekannt sind. Wird von Aromen (Flavors) gesprochen, bedeutet das übersetzt immer fertige Liquids mit etwas anderem als Tabakgeschmack. - Wichtig für diese Entwicklung ist die Juul.
Die kleine E-Zigarette ist in den USA im wahrsten Sinn in aller Munde. Denn das vergleichsweise neue Produkt hat nicht nur einen fulminanten Start hingelegt. Sondern durch geschicktes Marketing wurde erreicht, dass im flexiblen Englisch dafür das Verb des „juuling“ eingeführt wurde. - In den USA gibt es eine sehr starke Gesundheitslobby. Die, mehr angetrieben von einer moralinsauren Abstinenzforderung als durch wissenschaftliche Fakten, diese Faktoren auszuschlachten weiß. Vorreiter sind vor allem freie Organisationen wie die Campaign for Tobacco-Free Kids oder auch der selbsternannte Gesundheitsexperte Prof. Glantz.
Schon lange sprechen Dampfgegner von einer Gefahr. Denn vor allem Jugendliche nutzen das einfache Kartuschensystem Juul. Was eigentlich auch in den USA illegal ist, der Verkauf ist nur an Erwachsene erlaubt.
Die Panik vor der kleinen Dampfe, deren Liquids in Europa unzulässige 54mg Nikotin enthalten, wurde vor allem durch entsprechende Aussagen von Gesundheitsexperten und die bekannte Reaktionen der Medien geschürt.
Einer der Höhepunkte war, dass eine Direktorin die Türen der Toiletten aushängen lies, damit die Schüler in den Pausen nicht mehr juulen können.
Diese drei Faktoren haben auch dazu geführt, dass im Juni diesen Jahres nach einer Bürgerbefragung, die durch eine mit millionenspenden subventionierte Kampagne befeuert wurde, Aromen in San Francisco verboten wurden.
Chicago und New York wollten folgen.
Marktteilnehmer scheinen unbeteiligt
Angesichts dieser angespannten Situation erscheint das Verhalten des Marktes unverständlich.
Zum einen sind in den USA vor allem süße Liquids am Markt, die noch dazu mit Comic Figuren oder Verpackung wie Süßigkeiten an den Dampfer gebracht werden.
Das ist kaum mit europäischen Maßstäben zu vergleichen, auch wenn auch hier Fruchtaromen am beliebtesten sind. In vielen US amerikanischen Dampfläden drängt sich der Eindruck eines Candy Shops auf.
Das liefert den Jugendschützern natürlich argumentatives Potential.
Zum anderen haben die Marktteilnehmer offenbar insgesamt keinen großen Wert auf die Eigenverantwortung bezüglich des Jugendschutzes gelegt.
Eine Altersprüfung bei online Shops ist wohl selten bis unüblich, eine Alterskontrolle in Vape Shops scheint nicht flächendeckend zu erfolgen. Oder um es salopp zu formulieren: Irgendwo müssen die Kids die Dampfen ja her haben. Immerhin spricht man von etwa zwei Millionen dampfenden Schülern.
Währenddessen generiert sich Juul in seiner Außenkommunikation als ein inzwischen 16 Milliarden schweres Unternehmen mit immer neuen Erfolgszahlen. Von bis zu 72% des Marktes wird da gesprochen.
Gerade versucht man an den britischen Markt zu kommen, der Erfolg dürfte angesichts des gesetzlich regulierten Nikotingehaltes fraglich sein.
Deutliche Ansage von Gottlieb
Die Reaktion der Behörde ließ nicht lange auf sich warten.
Die durch Gottlieb aufgeschobene Deeming Rule, die vor seiner Amtszeit beschlossen wurde und das Aus für 98% des Dampfermarktes bedeuten würde, wurde offensichtlich nicht als Chance verstanden.
Nach seiner Stellungnahme in der Newshour dürfte das nun sehr deutlich werden.
Denn er eröffnete das Interview mit einer Aussage, die aus seinem Munde wie ein Orkan wirkt, der nun durch die Medien fegt.
„What we have access to right now is data that demonstrates to us that there is nothing short of epidemic of use among teenagers“
„Was wir nun haben ist Zugang zu Daten die uns zeigen, dass es nichts weniger als eine Epidemie der Nutzung unter Teenagern gibt.“
Dr. Scott Gottlieb, PBS Newshour, 12.09.2018
Nach den nächsten Schritten der FDA gefragt sagte er unmissverständlich, die Behörde prüfe gerade aktiv die Aromen – also die aromatisierten Liquids – „vom Markt zu nehmen“.
Jetzt wird es ernst
Wie ernst es damit ist wird daran ablesbar, dass die FDA die größte Aktion dieser Art in ihrer Geschichte auf den Weg gebracht hat.
So wurden unter anderem über eintausend Briefe an Händler verschickt, in denen eindrücklich vor dem illegalen Verkauf an Minderjährige gewarnt wurde. Händler müssten bei einem Verstoß mit ernsten Konsequenzen rechnen.
Die vier großen Herstellern Vuse (RJR Vapor Co.), blu (Imperial Brands), Logic und Juul haben nun 60 Tage Zeit um nachzuweisen, dass ihre Produkte nicht an Minderjährige abgegeben werden.
War man bis zu diesem Punkt vielleicht noch geneigt einzuräumen, dass die Dampfindustrie dies selbst schuld sei, ist man bei den weiteren Ausführungen Gottliebs geneigt Opposition zu ergreifen.
Denn wenn die Aromen vom Markt genommen werden, so der Behördenvorstand, müssten sie ein Zulassungsverfahren mit der FDA durchlaufen, um erneut zugelassen zu werden. Und in diesem müssten sie beweisen, dass der Nutzen für umsteigewillige Raucher größer ist, als die Gefahr für Jugendliche.
Zwar betonte Gottlieb mehrfach die geringere Schädlichkeit der E-Zigarette. Doch leider hat er sich die Formulierungen der Dampfgegner zu Eigen gemacht.
So sprach er davon eine „massive Gruppe“ Jugendlicher zu erschaffen, die nikotinabhängig werden. Und dadurch wohlmöglich langfristig zu Rauchern würden.
Umkehr der Beweislast
Das ist eine Umkehr der Beweislast. Nicht der Staat muss zum Verbraucherschutz eine Schädlichkeit nachweisen. Sondern die Hersteller müssen den Nachweis erbringen, dass der Nutzen für Raucher das Risiko überwiegt. Und das dürfte wissenschaftlich mindestens schwer, eher unmöglich sein.
Man stelle sich das einmal für Zigaretten oder Alkohol vor.
Alle Optionen seien nun auf dem Tisch und man müsse eventuell „dramatischere“ Mittel einsetzen, so Gottlieb.
Um das zu unterstreichen wies er darauf hin, dass die FDA die Autorität hat, diese Produkte vom Markt zu nehmen. Sie habe bisher nur den Verkauf gestattet, um gleichsam in einem Feldversuch bessere Daten zu bekommen. Diese Daten lägen nun vor.
Woher diese Daten stammen sagte Gottlieb nicht. Nur, dass die FDA diese sehr bald veröffentlichen werde.
PBS Newshour spielte eine schriftliche Aussage ein, doch auch bei der wurde keine Quelle benannt.
„E-Cigarette use among high school students grew 900% from 2011 to 2015“
„Die Nutzung von E-Zigaretten unter High School Schülern ist von 2011 bis 2015 um 900% angestiegen.“
PBS Newshour, 12.09.2018
Die bisherigen Zahlen geben das aber kaum her.
Die Centers for Disease Control and Prevention, eine dem Gesundheitsministerium unterstellte Behörde zum Schutz der öffentlichen Gesundheit, weist völlig andere Zahlen aus.
Andere Behörde, andere Zahlen
Der CDC zufolge sind die Zahlen der Schüler, die in den letzten 30 Tagen eine E-Zigarette genutzt haben, in der Middle School (Klassen 6 bis 8) von 2011 bis 2017 um 0,6% gestiegen. Im gleichen Zeitraum stieg die Nutzung an der High School (Klassen 9 bis 12) von 1,5% auf 11,7%.
Das kann man zwar als Anstieg um 780% darstellen, unterschlägt damit aber, dass es sich um kaum 12% der Schüler handelt. Von dem längeren Zeitraum ganz zu schweigen.
Dass die Frage nach der letzten Nutzung keine Informationen über eine dauerhafte Nutzung liefert, hatte Prof. Dr. Linda Bauld in ihrer Arbeit im Herbst des vergangenen Jahres verdeutlicht.
Darin stellte sie klar, dass zwar viele Jugendliche die E-Zigarette ausprobieren. Aber kaum einer zu einer dauerhaften Nutzung übergeht.
Die Zahl der Schüler, die dauerhaft dampfen und vorher nicht geraucht haben bezifferte sie auf 0,1% bis 0,5%.
Angesichts dieser Perspektive fällt es schwer eine Epedemie zu erkennen.
„Epidemie von Desinformation“
Erschwerend kommen die anderen Zahlen der CDC hinzu. Denn die Zahl der rauchenden Schüler fiel im oben genannten Zeitraum. An der Middle School um 4,3% und an der High School um satte 15,8%.
Das kommentierte der bekannte YouTuber GrimGreen in einem Aktuellen Beitrag
„Mit allem nötigen Respekt Herr Gottlieb, was wir haben ist keine Epidemie von Jugendlichen die dampfen. Was wir haben ist eine Epidemie von Desinformation, die von Ihnen und der FDA kommt.
Was wir haben ist eine Epidemie von erwachsenen Rauchern, die durch die E-Zigarette endlich in der Lage sind, das Rauchen aufzugeben.
Was wir haben ist eine Epidemie von Ärzten und Wissenschaftlern und Gesundheitsorganisationen und Regierungen, die alle die Vorteile der E-Zigarette loben.“
GrimmGreen, YouTube, 13.09.2018
Betrachtet man sich die Zahlen der CDC einmal genauer und vorurteilsfrei, so legen diese vor allem eins nahe.
Jugendliche, die ansonsten geraucht hätten, experimentieren nun mit der E-Zigarette anstatt mit Tabakzigaretten. Und die Gesamtzahl derer, die überhaupt etwas inhalieren, dennoch rückläufig ist.
Dem Laien muss sich der Verdacht aufdrängen, dass nicht die rationale und nüchterne Beurteilung dieser Zahlen Ursache der „großen Maßregelung“ („major crackdown“) der FDA sind.
Sondern dass andere Interessen dazu führen, der Öffentlichkeit eine „Epidemie“ zu verkaufen.
Es bleibt nicht folgenlos
Dass eine solche Ankündigung nicht folgenlos bleibt, war gestern bereits abzulesen.
Die börsennotierten Tabakunternehmen legten zu. Und zwar sprunghaft.
Die Aktien der Altria (u.a. Philip Morris USA) legten an einem Tag 7% zu und erreichten das beste Ergebnis seit 2008. British American Tobacco (Lucky Strike, Pall Mall, etc.) konnte fast 6% zulegen. Und die in London beheimateten Imperial Brands (West, Gauloises, Stuyvesant, etc.) schafften noch satte 3%.
Für Europa könnte es drei Auswirkungen haben, wenn die FDA ihre Drohungen umsetzt.
Zunächst werden US amerikanische Hersteller natürlich versuchen ihren Absatz zu konsolidieren. Sie werden also mit hoher Wahrscheinlichkeit stärker auf den europäischen Markt drängen.
Für europäische Hersteller bedeutet das im Umkehrschluss jedoch, dass sie eine eventuelle Expansion auf den amerikanischen Markt abschreiben können.
Die dritte mögliche Auswirkung dürfte jedoch am schwersten wiegen.
Wenn die große und mächtige FDA Aromen mit der Begründung des Jugendschutzes verbietet, wird dies auch in Europa nachhallen.
Gesundheitsorganisationen und Moralwächter dürften dieses Argument erfreut aufnehmen. Das Schreckgespenst der süchtig machenden E-Zigaretten dürfte erneut durch die Medien geistern. Und letztendlich dürfte das alles wieder zu einer Desinformation beitragen, die viele Raucher davon abhalten könnte, auf die deutlich risikoärmere Dampfe umzusteigen.
Beitrag auf PBS: https://www.pbs.org/newshour/show/fda-wants-e-cigarette-makers-to-extinguish-use-by-kids
Die CDC Daten im Original: https://www.cdc.gov/tobacco/data_statistics/fact_sheets/youth_data/tobacco_use/index.htm
Aromenverbot in San Francisco: https://www.vapers.guru/2018/06/07/aromen-in-san-francisco-verboten/
Joey Hoffmann
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