Ich halte alle für doof, die einem Fernsehmenschen in die Kamera sprechen.
Was nichts Besonderes ist, ich halte ja prinzipiell alle Menschen für doof.
Aber ich halte Menschen die in Fernsehkameras sprechen für ausgesprochen doof.
Da ich mich selber aber auch für doof halte (mit deutlichem Hang zur zerstreuten Dusseligkeit), bin ich wenigstens so schlau, hin und wieder meine Meinung zu revidieren.
Inzwischen ist mir eins klar geworden.
Die meisten Menschen sprechen gar nicht in Fernsehkameras, weil sie doof sind. Sondern weil sie nicht wissen, wie Medien heutzutage arbeiten.
In der vergangenen Woche hat mich Tommy kontaktiert. Tommy hat in eine Fernsehkamera gesprochen. Und bereut das inzwischen.
Deshalb hat Tommy mich gefragt, was man nun tun kann, um die Ausstrahlung dieser Aufnahmen zu verhindern.
Tommy fand es ok, wenn ich seine Geschichte erzähle. Um den Lesern einmal zu verdeutlichen, wie das so läuft. Denn seine Geschichte ist typisch und symptomatisch.
Vielleicht kann man so den ein oder anderen ja vorwarnen oder wachrütteln.
Die Industrialisierung der Medien
Die Arbeit der Medien hat sich industrialisiert. Es geht um Geschwindigkeit und Klicks. Klicks sind die neuen Leserzahlen.
Dabei sind die aktuellen Themen vorhersehbar. Eine Redaktion weiß vorher, wann eine Bundespressekonferenz stattfindet oder eine Demo.
Hinzu kommen dann aktuelle Themen. Irgendeine Bodenoffensive im arabischen Raum, ein Gipfeltreffen zwischen Nepal und Peru oder eine Erklärung des amerikanischen Heimatschutzes.
Darüber recherchieren diese Medien aber gar nicht selber. Das machen Presseagenturen, die diese Artikel dann an Medien verkaufen. Die schreiben die nur ab.
Das erklärt auch, warum zu einem Thema lange nichts zu hören ist und dann plötzlich wieder alle Medien voll sind.
Im Nachrichtendienst und in der Presse sind locker 95% der Quellen offen.
Das bedeutet, die Hauptaufgabe von Medien besteht nicht darin, irgendwelche geheimen Wahrheiten aufzudecken. Sondern offene Informationen zusammenzutragen und mundgerecht aufzuarbeiten. Mehr nicht.
Das sollte man sich vielleicht auch einmal klar machen, bevor man allzu schnell gegen eine Gebühr für öffentlich-rechtliches Fernsehen ist.
Nur die Öffentlich-Rechtlichen müssen nicht wirtschaftlich gegenrechnen und können es sich leisten, auch mal einen Journalisten einige Wochen auf ein bestimmtes Thema anzusetzen.
Man kann viel dagegen sagen. Vieles nicht zu Unrecht. Aber es sollte ganz klar sein: Gäbe es die Öffentlich-Rechtlichen nicht, würde eine wichtige Sparte des „echten“ Journalismus im Fernsehen wegfallen.
Diesen Unterschied zu verstehen ist im Informationszeitalter, in dem wir dichtgeschissen werden mit Informationen aus allen Ecken, eminent wichtig.
Der Drogen- und Suchtbericht
Jedes Jahr im Herbst kommt der Drogen- und Suchtbericht der Drogenbeauftragten der Bundesregierung heraus. Das wissen auch die Medien, das haben das im Terminkalender stehen.
Nun sind durch die Aufregungen der letzten Wochen natürlich viele auf das Thema E-Zigaretten angespitzt.
Erst verkündet die FDA dass es eine angebliche Epidemie unter Jugendlichen in den USA gibt. Und dann fordert die Vorsitzende des Sekretariats der Anti-Tabak-Konvention der WHO ein Verbot der E-Zigarette.
Jeder Chefredakteur kann sich also an den Fingern abzählen, dass irgendetwas zur E-Zigarette auch in dem Drogenbericht kommen wird. Und das es ein heißes Thema ist.
Die Motivation darüber zu berichten ist ausdrücklich nicht die Aufklärung. Nur um das noch einmal sehr klar zu sagen. Sondern einen Beitrag zu fertigen, den viele Menschen rezipieren. Das hat die oberste Priorität. Das bringt Klicks, the artist formerly known as Auflage.
Also setzen die Unternehmen vorher bereits Redakteure darauf an.
Tommys Geschichte
Eine Regionalleiterin von Highendsmoke erhielt einen Anruf von der Welt.
Bei der Welt handelt es sich aber nicht mehr um die recht seriöse Zeitung. Denn die Welt hat inzwischen mit dem Nachrichtensender N24 fusioniert.
Angefragt hatte auch nicht ein Journalist, der zu dem Thema recherchiert und Informationen haben wollte. Kein Redakteur oder Schreiber. Sondern eine Redaktionsassistentin aus Berlin.
Der Sender wollte in einem Vape Shop gerne ein Interview machen.
Wer sich etwas mit Medien auskennt weiß an dieser Stelle bereits: Man brauchte Footage.
Filmmaterial, das man irgendwo reinschneiden kann.
Intern einigte man sich darauf, dass Tommy das machen sollte.
Am nächsten Tag kam dann ein junger Mann alleine in die Filiale in Hamburg.
Wie sich im Nachhinein herausgestellt hat, war auch das kein Journalist oder Redakteur. Sondern ein selbstständiger Kameramann aus Hamburg.
Natürlich waren nun alle davon ausgegangen, dass es ein langes Interview geben würde.
Tommy hatte sich dafür extra vorbereitet und sogar den bekannten Prof. Dr. Bernd Mayer kontaktiert.
Um es vorweg zu nehmen: Der Kameramann hatte offensichtlich klare Anweisungen aus Berlin erhalten, was an Material gebraucht wird.
Das Interview
Aus dem langen Interview wurden dann genau drei Fragen.
- Was ist der größte Unterschied zwischen Tabakzigaretten und E-Zigaretten?
- Was sind die Vorteile einer E-Zigarette?
- Was berichten die Kunden?
Dem geneigten Rhetoriker wird hier bereits auffallen, dass die erste und zweite Frage eigentlich sinnverwand sind. Es macht kaum Sinn, diese beiden Fragen zu stellen. Außer man möchte einfach die für den Bericht bestmögliche Antwort, also formuliert man die Frage einfach um.
Bei der ersten Antwort hatte Tommy sich auch verhaspelt. Da er sagte, dass die E-Zigarette deutlich weniger Giftstoffe enthalte. Das wurde dann aber noch einmal aufgenommen, wobei Tommy darauf achtete, von „Schadstoffen“ zu sprechen.
Erhellend ist hierbei, dass pro Antwort 15 Sekunden vorgegeben wurden.
Auch daran zeigt sich, dass es keineswegs um einen Erkenntnisgewinn geht. Sondern um Material für einen Einspieler.
Anschließend wurden noch einige Gegenschnitte gedreht. Ein paar Liquids im Regal und ein gestelltes Kundengespräch mit einem Kumpel.
Dann war der Spuk auch schon wieder vorbei. Das ganze dauerte etwa eine Stunde, mehr nicht.
Der Kameramann versicherte dabei, dass es darum ginge, einen Gegenpol pro Dampfe zu haben. Und dass so wichtige Hinweise wie die Berichte der Kunden über gesundheitliche Verbesserungen da auf jeden Fall noch mit rein müssten.
Die Ausstrahlung
Am nächsten Tag, dem Tag der Veröffentlichung, saßen alle Beteiligten natürlich vor N24. Da war von dem Interview aber nicht viel zu sehen.
Erst berichtete eine im Studio anwesende Lungenärztin über die Gefahren der E-Zigarette.
Wer einmal die Nachrichtensender gesehen hat weiß, wie so etwas aussieht. Es wird alle halbe Stunde mit leichten Variationen wiederholt.
Dabei wurden wohl einige Bilder eingespielt, aber nicht das Interview.
Danach kam dann ein ganzer Bericht.
Auch in diesem waren die Gegenschnitte zu sehen, aber nicht das Interview.
Die Regionalleiterin hatte zu dem Zeitpunkt wohl bereits in Berlin angerufen, um ihrem Unmut Luft zu machen.
Als Antwort erhielt sie lediglich eine Mail mit der Erklärung, dass der Kameramann sich nicht an die Vorgaben des Chefredakteurs gehalten hätte, und eine neue MAZ produziert werden müsse.
Dann erfolgte ein ganzer Bericht. Oder um es genauer zu sagen, ein typischer Einspiele mit den üblichen 90 Sekunden. Das ist so ein typisches Maß, bei dem die Aufmerksamkeitsspanne der Zuschauer nicht allzu sehr belastet wird.
Einziges Material aus dem Interview war dann die erste Antwort von Tommy.
Und zwar nicht die verbesserte Version, sondern die mit den Giftstoffen.
Dass sowohl der Name wie auch die Firma falsch geschrieben wurden, ist eigentlich schon pro forma.
Die Redaktionsassistentin schickte dann wohl noch eine Mail, in der sie angab, dass sie selber den Bericht gesehen hätte. Damit wird deutlich, dass sie selber mit der Produktion des Beitrags absolut nichts zu tun hat und ihn selber erst bei Ausstrahlung sieht.
Sie versicherte verstehen zu können, dass die Presse in dem Vape Shop wohl nicht mehr willkommen sei.
Leider darf ich den Bericht nicht speichern und öffentlich zugänglich machen.
Er ist allerdings auf YouTube veröffentlicht, so dass ich ihn hier zumindest einbetten kann. So lange er online bleibt.
Interessant ist an dieser Stelle sicher auf zwei weitere Ungenauigkeiten aufmerksam zu machen.
Zum ersten sind in dem Bericht auch Aufnahmen des Tabakerhitzers IQOS zu sehen. Die aber mit diesem Thema nur bedingt zu tun haben. Das spricht eher dafür, dass hier einfach älteres Material eingeschnitten wurde, und der zuständige Editor oder Redakteur keine Ahnung hatte.
Zum zweiten wird im dramatischen Schlusswort darauf hingewiesen, dass die amerikanische FDA die „elektronische Fluppe verbieten lassen will“. Das ist erstens falsch, weil die FDA keineswegs plant, die Dampfe zu verbieten. Und zweitens ist das falsch, weil die FDA selber die Autorität besitzt E-Zigaretten zu verbieten. Sie muss sie nicht durch den Gesetzgeber „verbieten lassen“.
Und das alles in 90 Sekunden.
Was kann man dagegen tun?
Tommy wurde dann von Prof. Dr. Bernd Mayer an mich verwiesen. Er wollte wissen, was er nun dagegen tun kann.
Meine ehrliche Antwort lautet: Nichts.
Er hat er in die Kamera gesprochen. Das bezeichnet man im Juristendeutsch als konkludente Handlung. Er hat durch sein schlüssiges Handeln bereits gezeigt, dass er damit einverstanden ist. Dazu ist auch kein schriftlicher Vertrag nötig.
Und es war ganz klar, dass es sich dabei um professionelle Medien handelt.
Um es einmal ganz unmissverständlich zu sagen:
Die Aufnahmen von Tommy gehören nicht Tommy. Sondern dem Sender. Und der kann jetzt (fast) damit machen was er will.
Er kann sie in zwei Jahren wieder aus der Schublade ziehen und in einen Bericht über vermeintliche Krebstote durch E-Zigaretten schneiden. Er kann sie schneiden wie er lustig ist.
Er kann sie auch verkaufen. Auch an das DKFZ oder die WHO, die dann berichten, wie fehlgeleitet die Süchtigen sind.
Sie gehören offenbar auch nicht Welt/N24 alleine. Sondern wie man am Mikrophon sehen kann gleich dem Konzern Pro7/Sat1/Kabel1 mit.
Es wurden schon Prozesse gewonnen, in denen gegen so etwas geklagt wurde.
Doch da es sich dabei um Zivilrecht handelt, muss man davon ausgehen, dass man mindestens auf den Anwaltskosten sitzenbleibt. Wohlmöglich auch auf den Gerichtskosten. Was schnell fünfstellig werden kann.
Und ein Sender wird alles in Bewegung setzen, um hier kein Präzedenzfall zu schaffen.
Zudem ging es bei den gewonnenen Fällen um Verletzungen der Persönlichkeitsrechte.
Bekannt geworden ist der Fall eines Opfers der Love Parade, dessen Großvater emotional erschüttert in eine Kamera gesprochen hat. Die Veröffentlichung musste zurückgenommen werden.
Das ist bei Tommy aber nicht der Fall, da er hier beruflich als Verkäufer von E-Zigaretten gesprochen hat.
Sprecht nicht mit der Presse!?
Die Überschrift ist sehr bewusst mit einem Ausrufe- und einem Fragezeichen versehen.
Natürlich sollte man mit den Medien reden. Ich bin auch Medien. Auch Buchautoren wie Professor Heino Stöver sind Medien. Auch der Journalist Dietmar Jazbinsek ist Medien.
Es gibt nach wie vor gute und seriöse Medien.
Man sollte sich aber sehr sicher sein, was man dort tut. Man sollte wissen, dass man die Rechte abgibt. Und dass die Aufnahmen von anderen, mit denen man nie ein Wort gesprochen hat, frei zusammengeschnitten und in anderen Kontext gestellt werden können.
Man sollte sich immer vorher fragen: Vertraue ich dem Gegenüber so sehr, dass ich ihm diese Rechte einräume?
Ich selber halte sämtliche Nachrichtenformate dieser Art für Infotainment. Sie alle arbeiten so. Deshalb würde ich niemals mit denen sprechen. Das fängt an bei N24, geht über RTL und endet bei Gallileo.
Entscheiden muss das jeder für sich selber.
Ich bin wirklich froh und dankbar, dass ich Tommys Geschichte erzählen durfte. Dass er bereit war als negatives Beispiel zu fungieren. Damit vielleicht der ein oder andere demnächst vorher darüber nachdenkt.
Dafür gebührt Tommy keine hämische Reaktion, sondern größter Respekt.
Es stand vorher fest
Ist eigentlich jemandem aufgefallen, wie das zeitlich abgelaufen ist?
Mindestens zwei Tage vor Erscheinen fragt eine Redaktionsassistentin aus Berlin ausgerechnet in Hamburg wegen einem Interview an. Ein Tag vor Erscheinen wird ein Interview in einem Vape Shop gedreht.
Der Drogenbericht erscheint, und zufällig sitzt gerade eine Lungenärztin im Studio.
Natürlich stand der Ton der Berichterstattung längst fest, bevor der Drogenbericht tatsächlich rausgekommen ist. Natürlich war längst klar, dass die jugendgefährdende E-Zigarette der Aufmacher sein würde. Bevor jemand wusste, was drin stehen würde.
Dass der Drogenbericht in Bezug auf die E-Zigarette gar nicht so negativ ausgefallen ist, wie einige dieser Medien es dargestellt haben, ist kaum jemandem aufgefallen.
Es war unwichtig.
WHO fordert Verbot der E-Zigarette: https://www.vapers.guru/2018/10/05/who-fordert-verbot-von-e-zigaretten/
Regierung empfielt E-Zigarette: https://www.vapers.guru/2018/10/16/regierung-empfiehlt-e-zigarette/
Joey Hoffmann
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