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Tandoori Ziegenpisse

Dheli im Wunderland

Bei regelmäßigen Lesern ist das endgültige Guru-Urteil „Ziegenpisse“ bekannt. Vieles, was im Bereich der Harm Reduction passiert, kann man schwer anders etikettieren.
Ein Beitrag eines indischen Gesundheitsdirektors ist eine Gelegenheit, dieses vielleicht zu unrecht vernachlässigte Wort zu reaktivieren.
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Das Dasein ist bunt und granatenstark. (Volle Kanne Hoschi!)
In unserer aufgeklärten Welt des westlichen Miltär-Wirtschafts-Komplexes vergessen wir das gerne. Zwischen Beauty Tipps auf Instagram, genormten Gurken und Doppelhaushälften fällt gerne hinten über, dass die Mehrheit der Menschheit ganz anders funktioniert.
Weshalb einige von uns auch wie ein Kaninchen vor der Schlange nach Afrika und Arabien starren, während China die Weltherrschaft übernimmt, die Tschechei kauft und einen kostenpflichtigen Parkplatz daraus macht.

Wir sind es in unserer Echokammer des Dampfes gewohnt über den Preis von Liquids zu diskutieren, über die Übernahme einer Ladenkette durch einen Tabakkonzern oder ob Caterpillar-Warp-Coils besser schmecken als Fusion-Accordion-Coils.

Andere Gesellschaften sind völlig anders organisiert. Es ist für uns oftmals unvorstellbar, dass ein Kronprinz einen Journalisten eliminieren lassen kann, oder dass in jedem Haushalt ein Portrait des Staatsvorsitzenden zu hängen hat, das mit getrennt zu lagernden Putzmitteln täglich zu reinigen ist.

Rote Beete gegen AIDS

Das setzt sich auch in der Gesundheitspolitik fort.
Anders ist nicht zu erklären, wie beispielsweise der südafrikanische Präsident jahrelang jeglichen Zusammenhang zwischen HIV und AIDS leugnen konnte. Und seine Gesundheitsministerin Knoblauch, Olivenöl und Rote Beete gegen AIDS empfahl.
Unterstützt vom damaligen Chef der Partei ANC Jacob Zuma. Der in einem Vergewaltigungsprozess gegen ihn 2005 aussagte, er habe nach der Vergewaltigung geduscht, um sich nicht mit AIDS anzustecken. Er war zu dem Zeitpunkt auch Vorsitzender des nationale AIDS-Rates.

Nur wenn man sich diese Verschiebungen bewusst macht, ist überhaupt fassbar, was ein indischer Gesundheitsdirektor vor wenigen Tagen in einer der größten indischen Zeitungen rausgehauen hat.
Denn so viele Hirnfürze, soviel Faktenresistenz und so viel Ziegenpisse ist von einem Arzt kaum zu erwarten. Es sei denn kulturell und politisch bedingte, regionale Faktoren beeinflussen derart phantasiereiche Erläuterungen.

Der Gesundheitsdirektor

Dr. S. K. Akora ist „additional Director of Health“ in Delhi.
Im vergangenen Jahr gewann er den World No Tobacco Day 2017 Award (Weltnichtrauchertag Preis) der WHO. Für sein „außergewöhnliches Engagement für die Tabak Kontrolle“.

Ziegenpisse
S. K. Akora anlässlich der Preisverleihung 2017 durch die WHO.

Er war offenbar auch hauptverantwortlich dafür, dass die Messe Vapexpo in Delih kurzfristig und ohne weitere Begründung verboten wurde.

Zudem ist er neben seinen Umtrieben auch als Redakteur tätig. Denn am vergangenen Wochenende veröffentlichte er einen ganzseitigen Artikel in der indischen Mail Today, einer Joint Venture der britischen, rechtskonservativen Boulevardzeitung Daily Mail.
(Die Süddeutsche kommentierte 2013, die politischen Redakteure der Daily Mail würden einen derart „blühenden Wahnsinn“ veröffentlichen, dass man nie sicher wäre, ob die das wirklich ernst meinen.)

„E-Fluppen sind genauso tödlich“

Unter dem markigen Aufmacher „E-Fluppen sind genauso tödlich“ erläutert Akora dem interessierten Inder erst einmal, was E-Zigaretten überhaupt sind.
Dabei unterscheidet er die ENDS (Electronic Nicotine Delivery Systems, ein typischer WHO Begriff) wörtlich zwischen „E-Zigaretten, Dampfen und Juuls“.
Das alleine lädt dazu ein, am Sachverstand von Akora zu zweifeln. Denn „Vaping“ und „E-cigarettes“ ist ein Vergleich wie „Apfel“ und „Apfelsafttrinken“.
Juuls hingegen ist eine E-Zigarette der ersten Generation eines Herstellers in San Francico. Die es in Indien jedoch gar nicht direkt zu kaufen gibt. Da Juul nicht nach Indien vermarktet.

Anschließend erläutert er, dass die Zahl der etwa 100 Millionen Raucher in Indien zwar rückläufig ist. Dass diese Geräte das jedoch zunichtemachen könnten, da die Jugend sich der Gefahren nicht bewusst sei.
Sie seien nicht nur leicht vor den „Eltern und Lehrern“ zu verstecken. Sondern sie würden auch „fälschlicherweise“ für weniger gefährlich gehalten.

Am Beispiel der Juul (die nicht direkt in Indien verkauft wird) erläutert er dann, dass ein einziger Pod dieser E-Zigarette so viel Nicotin enthalte, wie eine Schachtel Zigarette. Was per se falsch ist.
Denn der Nicotingehalt von Zigaretten wird international danach bemessen, wie viel Nikotin im Rauch ist. In den Zigaretten dürfte das Vielfache sein.
Oder im Umkehrschluss: Im Dampf eines Juul Pods dürfte weit weniger Nikotin enthalten sein als im Rauch einer Schachtel Zigaretten.

Erwähnte ich bereits, dass die Juul gar nicht direkt in Indien gehandelt wird?

Ein Mythos, zwei Mythos, drei Mythos

Gleichzeitig würden von der Tabakindustrie Heat not Burn Produkte eingeführt. Diese seien angeblich ebenfalls weniger schädlich, was jedoch ebenfalls ein Mythos sei.

Nun, eigentlich gibt es derzeit nur zwei Systeme, die am Markt relevant sind. Das ist einmal die IQOS von Philip Morris, die derzeit noch nicht in Indien gehandelt wird. Und einmal die glo von Britsh American Tobacco, die ebenfalls nicht auf dem Subkontinent zu haben ist und wohl demnächst von BAT als Rohrkrepierer vom Markt genommen wird.
Das erinnert ein wenig an die Juul. Die ist dort nämlich auch nicht direkt auf dem Markt.

Vergiftung durch Liquid im Auge

Das Aerosol von E-Zigaretten enthält „schädliche und potentiell schädliche Inhaltsstoffe“ wie Nicotin. Es enthält Schwermetalle wie Blei. Es enthält flüchtige, organische Komponenten und krebsverursachende Stoffe. Zumindest wenn es nach dem Gesundheitsdirektor geht.

Einzelne Studien hätten gezeigt, dass Nikotin zu DNA Mutationen führen könne und Krebs verursache.
Was tatsächlich sehr verwunderlich ist, denn nicht einmal Gesundheitsorganisationen wie das Deutsche Krebsforschungszentrum behaupten Nikotin könne Krebs verursachen. Das ist eigentlich international anerkannt. Da scheint man in Indien schon weiter zu sein.




Umso mehr Akora sich in die Eskalation schreibt, umso mehr gleicht der Artikel einem Monty Python Sketch. („Dieser Papagei macht nur ein Nickerchen!“)
Der Eindruck liegt nahe, der Autor spritzt Marihuana. Und hat die Höhenlampe auf den Aluhut ausgerichtet.

Der folgende Satz muss für die Nachwelt erhalten bleiben:

„Kinder und Erwachsene erlitten Vergiftungen durch das Verschlucken, Einatmen oder dem Absorbieren von Liquid über die Haut oder die Augen.“
Dr. S. K. Akora, Mail Today, 20.10.2018

Deutsche Uni bestätigt das?

Die Universitätsklinik Schleswig-Holstein habe Versuche durchgeführt, in denen die Vitalfunktionen von Rauchern und Dampfern nach der Inhalation untersucht worden sind.
Dabei habe sich gezeigt, dass die Herzfrequenz und der Blutdruck angestiegen seien. Und dass diese Effekte länger angehalten hätten als bei Tabakzigaretten.

Diese Untersuchung gibt es tatsächlich.
Aber die in den Medien angegebenen Zeiten stehen so nicht in der Arbeit.
Der Anstieg des systolischen Blutdruckes war nach der Zigarette 30 Minuten lang messbar, nach der E-Zigarette 45 Minuten.
Dafür kann es aber keine andere Erklärung geben, als dass einfach mehr Nikotin aufgenommen wurde. Die Liquids im Versuch enthielten 24mg, was ein Fünftel über der überhaupt erlaubten Höchstmenge liegt.

Es gibt keine auch nur halbwegs plausible, geschweige denn nachgewiesene wissenschaftliche Theorie, nach der Nikotin in E-Zigaretten etwas anderes verursachen sollte als in Tabak. Denn Nikotin ist eine chemische Verbindung, die immer gleich ist. Egal ob sie geraucht, geschnupft, gespritzt oder mit einem Fleischklopfer in die Schädeldecke massiert wird.
Offenbar ist der alte Gassenhauer „Die Dosis macht das Gift“ bei indischen Ärzten unbekannt.
Was deutlich besorgniserregender ist als die Ergebnisse der Kieler Studie.

Höchststufe der Eskalation

Nachdem Akora sich derart in Rage geschrieben hat, amokiert er gänzlich.

Nicht nur dass das heranwachsende Gehirn von Jugendlichen durch Nikotin dauerhaft geschädigt wird. Nikotin verursacht auch affektive Störungen und verminderte Impulskontrolle gleich mit.
Das wiederum macht das Hirn des Jugendlichen anfällig für andere Drogen wie Kokain und Methamphetamin.

…jetzt auch schon Crytal Meth und kolumbianischer Nuttenpuder. Darf es etwas mehr sein?
Das ist noch eine Nummer härter als die blödsinnige (und wissenschaftlich widerlegte) Behauptung, Dampfen verleite zu teureren und schlechter schmeckenden Zigaretten.
Wenn jemand einen Baumkuchen isst fängt er danach auch nicht an Autoreifen zu lecken.

Vom eigenen Land überzeugt

Kampagnen pro E-Zigarette als Rauchstopp (wie der britische Stoptober) seien ebenfalls ein Mythos und „unethisch“.
Nikotinersatztherapien müssten durch einen qualifizierten Therapeuten verschrieben und begleitet werden.
Versuche der Selbsttherapie könnten in einer versehentlichen Vergiftung durch Überdosierung enden.

Vielleicht hätte man dem Arzt mitteilen sollen, dass es für Menschen nicht möglich ist, sich durch Inhalation eine Vergiftung mit Nikotin zuzufügen. Zumindest nicht so, wie der Laie „Vergiftung“ versteht.
Es hat sich auch noch niemand ohnmächtig geraucht. Höchstens lethargisch gekifft, aber das ist denen egal.

So sprach er der britischen Politik dann auch ab, in Indien überhaupt Sinn zu machen.
Das Problem sei dabei, dass viele Menschen in Indien nicht lesen könnten und solche Kampagnen daher keinen Sinn machen.

Da inzwischen die Schulpflicht in Indien eingeführt wurde, geht das Analphabetentum rasant zurück. Vor allem unter den Jüngeren.
Derzeit liegt die Alphabetisierung bei 76%. Bei 1,3 Milliarden Einwohnern sprechen wir hier von fast einer Milliarde Menschen.
Also ich würde es auf den Versuch ankommen lassen.

Erschreckende Logik, tiefe Einblicke

Wenn auch schädlich und gefährlich, etwas Positives hat der Artikel.

Im letzten Absatz offenbart Akora die Logik, die dahinter steht. Und die gleichsam aus der Feder der WHO geflossen zu sein scheint.
Jegliche Form von Tabak müsse verboten werden. Daran bestünde kein Zweifel.
So lange bis man das jedoch umsetzen könne, müsste Tabak zumindest stark reglementiert werden.

Da die E-Zigarette als neues und damit schwächstes Glied in der Kette erscheint, müsse man dieses als erstes verbieten. Damit es sich nicht in die Liste der anderen nikotinhaltigen Genussmittel einreiht.

Das dadurch jedoch Millionen von Menschen dazu verdammt sind weiter zu rauchen und damit an den Folgen des Tabaks elendig zu verrecken, bis man die erstrebte Prohibition erreicht hat, scheint im moralisch und ideologisch geschlossenen Weltbild keine Rolle zu spielen.

In Indien sterben jedes Jahr nach vorsichtigen Schätzungen etwa eine Millionen Menschen am Tabak.

Das, lieber Herr Doktor, ist „unethisch“.
Ziegenpisse ist Ziegenpisse ist Ziegenpisse.


Presse unerwünscht in Indien: https://www.vapers.guru/2016/11/08/presseverbot-auf-tabakkonferenz/
Messeverbot in Delhi: https://www.vapers.guru/2017/09/04/dicker-dampf-in-delhi/

WHO fordert Verbot von E-Zigaretten

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Joey Hoffmann

Begründer und inhaltlich Verantwortlicher bei vapers.guru
Freier Redakteur, zuvor angestellter und selbstständiger Marketingberater und Mediengestalter, Fachbereich Facebook und Wordpress. Mitglied des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes.

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