Ich stecke in einer Zwickmühle.
Zum einen gibt es gerade Beef zwischen den Streamern, YouTubern, Influencern. Man nenne sie wie man wolle.
Das sollte man nicht übermäßig ernst nehmen und erst Recht nicht wichtiger machen als es ist.
Denn die allermeisten Dampfer, die ja bereits eine Minderheit sind, rezipieren diese Medien gar nicht. Es ist also eine Minderheit einer Minderheit. Auf gut Deutsch gesagt, es ist den meisten scheiß egal.
Hänge ich mich da jetzt auch noch rein, würde dem Ganzen wieder mehr aufmerksam zu Teil, als es verdient.
Auf der anderen Seite haben wir aber vor allem im Bereich der E-Zigarette immer wieder die Diskussion über bezahlte Influencer. Und man sollte darüber sprechen.
Der Dualismus der Medienkritik. Ich bin mir dieser Diskrepanz vollkommen bewusst.
Trotzdem, oder gerade deshalb, möchte ich einmal einen Perspektivwechsel vorschlagen.
Denn es ist ja durchaus bemerkenswert, dass diese Diskussion alle paar Monate wieder aufflammt und bei bestimmten YouTubern ständig unterschwellig mitschwingt.
Ich möchte einmal einen Erklärungsansatz anbieten, wo das eigentliche Problem liegt.
Denn es werden ja sehr viele Nebenkriegsschauplätze aufgemacht. Ob die eine nun einmal Domina war und den anderen nun anzeigen will. Ob bezahlte Reviews auf YouTube nun verboten sind oder nicht. Ob Reviewer immer ehrlich sind oder ihre Meinung kaufen lassen. Und so weiter.
Aber vielleicht gibt es ja ein Gedankenexperiment, ein Erklärungsmodell, was diesen ganzen Unfug tatsächlich im Kern darstellt.
Folgen wir also einmal John Keating und dem Club der toten Dichter, wechseln die Perspektive und stellen uns auf den Tisch.
Malen wir ein Bild.
Zwischen Maloche und Frittenbude
Angenommen ich bin groß geworden in einem Arbeitermilieu. Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt, wurde mir zwischen Zechen und Raffinerien beigebracht, dass ehrliche Maloche das wichtigste im Leben ist.
Mit Akademikern hatte ich nie große Berührungspunkte. Aus meiner Hauptschule ist zwar mal einer aufs Gymnasium gewechselt und hat dann Anthropologie studiert. Aber was der so wirklich macht, weiß ich eigentlich gar nicht.
Nach der Schicht gehe ich zweimal die Woche mit ein paar Kumpels auf dem Fußballplatz ein wenig plecken. Und danach gemeinsam zwei Bierchen zischen. In der Frittenbude am Sportplatz, neben den Spielautomaten.
Das ist für mich Fußball. Das ist für mich die Liebe zum Sport. Ich bin in keinem Verein, spiele in keiner Liga.
Natürlich unterstütze ich den Bundesligaverein meiner Stadt. Denn auch der Lokalpatriotismus wurde mir eingeimpft.
Aber tief in mir selbst stehe ich den ganzen Bonzen, den Managern die über den Verein bestimmen, ablehnend gegenüber. Genauso wie den Söldnern, die für Millionensummen dort spielen und für ein besseres Angebot sofort den Verein wechseln.
Ich finde die zunehmende Kommerzialisierung der Bundesliga scheiße und unterhalte mich sehr oft mit meinen Kumpels darüber. Worüber wir nach dem dritten Bier auch regelmäßig schimpfen. In der Frittenbude am Sportplatz, neben den Spielautomaten.
Das ist meine Welt, in der ich mich zu Hause fühle und in der ich mich auskenne.
Und jetzt kommt da plötzlich einer aus meiner Stadt, der sich den Sportplatz anguckt, auf dem ich nach der Maloche mit meinen Kumpels kicke.
Ich kenne den Typen. Es ist einer, der mal in der Bundesliga gespielt hat. Erst bei dem Verein, den ich unterstütze. Dann wurde er für ein paar Millionen an einen anderen Verein verkauft.
Dass der als Junge in der örtlichen Mannschaft auf dem gleichen Platz angefangen hat, auf dem ich heute spiele, ist egal. Ich empfinde ihn als Verräter.
Irgendwann hat er auch noch Sportmanagement studiert, was ihn mir nur noch suspekter macht.
Natürlich finde ich den Typen scheiße. Ich muss.
Aufgesetzte Argumente für Scheißefinden
Die Frage ist nun, warum ich den Typen scheiße finde.
Weil er in meinen Augen einen Verrat begangen hat. Weil er sein Geld mit irgendetwas verdient, was ich nicht wirklich verstehe. Und weil er sein Geld mit etwas verdient, was sicher nicht weiter von meiner eigenen Maloche entfernt sein könnte.
Neid, Misstrauen, unterstellte Arroganz, alle diese Gefühle spielen da mit. So jemandem kann man nicht vertrauen.
Dass er auf dem gleichen Fußballplatz als einer aus meiner Nachbarschaft angefangen hat und Fußball wahrscheinlich mindestens so liebt wie ich, findet in meinem Kopf gar nicht mehr so wirklich statt.
Aber eigentlich sind das nur die oberflächlichen Gründe.
Denn der Typ findet ja in meinem eigenen Erlebnishorizont gar nicht statt. In meiner Welt zwischen Maloche, Kicken und Bier mit den Kumpels spielt der Mann gar keine Rolle.
Ich könnte mich also einfach umdrehen und ihn ignorieren. Und trotzdem werde ich später mit meinen Kumpels wieder beim Flaschenbier in der Frittenbude neben den Spielautomaten stehen und darüber reden, was für ein Arschloch der Kerl ist.
Das Wichtigste im Leben ist das Selbstbild
An dieser Stelle löse ich das einmal auf, damit der Artikel nicht zu lang wird. Das ist pädagogisch nicht sinnvoll, aber ich bin ja auch kein Pädagoge.
Der Drang das eigene Selbstbild zu erhalten ist einer der stärksten des Menschen. Er wird mit Klauen verteidigt gegen jeden, der ihn vermeintlich angreift.
Das finden wir bei Müttern, die sich vehement verteidigen eine gute Mutter zu sein. Und das finden wir bei Managern, die argumentieren die richtigen Entscheidungen getroffen zu haben.
Das finden wir übrigens auch bei Hygiene Demos. Denn die demonstrieren gar nicht gegen Mundschutz, sondern dafür wahrgenommen zu werden und auch wichtig und selbstbestimmt zu sein.
Nicht nur Samurai waren bereit, für ihre Ehre zu sterben. Auch Selbstmordattentäter, einige Terroristen und die Darsteller von Jackass. (Ok, blödes Beispiel, die waren einfach naturdurch.)
Kommt nun der millionenschwere Profikicker zu meinem Fußballplatz, erinnert er mich ja nicht nur daran, dass mein kleines Leben zwischen Maloche und Frittenbude mit Spielautomaten eine sehr kleine Welt ist. Er erinnert mich vor allem daran, dass die Werte, die man mir mit der Muttermilch eingeimpft hat, in einer größeren Welt gar nicht so viel wert zu sein scheinen.
Lokalpatriotismus, „ehrliche“ Arbeit, Verbundenheit zu meinen Jungs und meinem Club, das alles scheint nichts mehr wert zu sein, wenn man jemandem mit den Geldscheinen vor der Nase herumwedelt.
So richtig beurteilen kann ich das gar nicht. Da ich ja weder in die Verlegenheit kommen werde, dass man mir mit den Geldbündeln vor der Nase rumwedelt. Noch dass ich wüsste, welche Entscheidungen den Typen dazu bewegt haben, wegzugehen. Ich habe nie etwas studiert und vor allem war mir das Bier mit den Kumpels immer mehr wert, als nach dem Training nochmal vier Runden zu laufen und alleine Elfmeter zu üben. Und tief in mir drin weiß ich das.
Und deshalb erfüllt es auch eine Funktion für mich, später mit meinen Kumpels in der Frittenbude zu stehen und über den Arsch am Spielfeldrand zu schimpfen. Es versichert mir nämlich, dass ich nicht alleine bin. Das meine Welt zwischen Maloche und Freizeitkicken doch die wahre Welt ist.
Es zeigt mir, dass meine Werte die einzig wahren sind. Ich versichere mich meiner selbst.
Motzen zum Selbstzweck
Wenn „kleine“ Youtuber über Influencer schimpfen, erfüllt das immer mehrere Selbstzwecke. Es hat immer einen persönlichen, emotionalen und psychischen Benefit.
Diese Menschen versichern sich ihrer Werte, ihres Weltbildes. Weil sie ein Bild vom Dampfen haben, dass sich zwischen Revolution, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung bewegt.
Sie empfinden sich als die einfachen, ehrlichen Malocher der Genussdrogen. Die aufstehen gegen „die da oben“. Aus Liebe zum Dampfen.
Außerdem bringt es Klicks.
Dass auch die Influencer, die inzwischen damit Geld verdienen, auf dem gleichen Sportplatz angefangen haben wie sie selber, wird ignoriert.
Und dass diese Influencer vielleicht etwas Positives für die E-Zigarette sein könnten, wird völlig verneint. Dass die mehr Menschen erreichen wäre ja nicht so, wenn alle das nur als Hobby betreiben würden wie man selbst. Und dass die vielleicht sogar die E-Zigarette professioneller und seriöser darstellen könnten wird ebenso geleugnet, wie die Möglichkeit, dass die auch einfach Erfolg haben, weil sie als Typen sympathischer und massentauglicher rüberkommen.
Diese „kleinen“ YouTuber könnten problemlos weiter ihre neusten selbstgekauften Geräte präsentieren, Videos von Messen machen oder andere Dampfer interviewen. Tun sie aber nicht.
Und genau deshalb wird dieser Beef auch mit verlässlicher Regelmäßigkeit immer wieder hochkochen. Weil es eben nicht reicht, wenn sie sich einfach umdrehen und die anderen machen lassen. Sondern weil sie sich angegriffen fühlen, weil sie ihr Bild vom Dampfen angegriffen fühlen.
Und das findet man dann auch in den Kommentaren wieder.
Wenn unter ein solchen „Realtalk“ über bezahlte Reviewer ein Nutzer schreibt, dass die Influencer so arrogant sind, dass sie einen „normalen“ (sic!) Dampfer auf Messen gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen, dann sagt das eigentlich mehr als tausend Videos.
Der fühlt sich auf persönlicher Ebene zurückgesetzt. Mehr nicht.
(Eine Wahrnehmung, die übrigens genau das Gegenteil von dem ist, was ich persönlich dutzende male erlebt habe. Man kann auf Messen kaum mal ein ungestörtes Gespräch mit einem Influencer führen, weil die sich ständig gerne Zeit nehmen um mit „normalen“ Dampfern zu sprechen. Weil sie sich selber vor allem als Dampfer sehen.)
Introspektion bingt keine Klicks
Daher würde ich diesen Leuten, die solche Videos veröffentlichen oder solche Kommentare verfassen, dringend raten, sich selber zu hinterfragen.
Sie sollten hinterfragen, wie sie „das“ Dampfen definieren. Wie sie sich selber innerhalb dieser Blase definieren und sehen. Was sie tatsächlich und faktisch gegen bezahlte Influencer haben.
Sie sollten einmal in Übereinstimmung mit der Realität bringen, ob „das“ Dampfen nun wirklich die große, unkommerzielle und revolutionäre Subkultur ist.
Denn es geht nicht um Umschläge und Dominas, um gekaufte Meinungen und Community Richtlinien.
Es geht um zwei Weltbilder, um zwei Vorstellungen vom Dampfen, die aufeinanderprallen.
Leider ist es aber so, dass genau die Menschen, die sich so verhalten, üblicherweise nicht die Introspektion besitzen, sich damit auseinanderzusetzen. Geschweige denn zu hinterfragen, ob es vielleicht an ihnen selber liegen könnte.
Und so werden wir uns auch in Zukunft noch häufiger mit solchen Diskussionen auseinandersetzen dürfen. Auf niedrigstem Niveau.
Ich habe für mich allerdings eine Beobachtung gemacht. Weshalb ich da auch einigermaßen parteiisch bin. Völlig abgesehen von meiner ganz anderen Beurteilung des Dampfens.
Diese „kleinen“ YouTuber kommen in der Wahrnehmung der „großen“ und zum Teil bezahlten Influencer gar nicht vor.
In meiner Wahrnehmung hat sich noch nie ein Steamshots, Dampfdidas, Tony Vapes, Dampfwolke, Smartin, Dampflion oder wie sie alle heißen hingesetzt und anlasslos über einen der kleinen, hobbymäßigen „Dampf-YouTuber“ geschimpft.
Wozu auch? Die sind ja nicht damit groß und erfolgreich geworden, dass sie sich in persönlichen und infantilen Auseinandersetzungen auf Nebenkriegsschauplätzen mit irgendwelchen anderen Filmchenmachern verlieren. Das ist zwar immer gut für eine kurze Erregungskurve, bringt aber sicher keine 50.000 Abos.
Die haben es gar nicht nötig, sich selber groß zu machen, indem sie andere klein machen.
Und deshalb ist das meistverwendete Wort in solchen Beef Video immer das „ich“.
Ich bin unabhängig. Ich bin unbestechlich. Ich sage die Wahrheit. Ich lasse mich nicht klein machen. Ich, ich, ich.
Denn es geht diesen Leuten gar nicht wirklich darum, dass die bezahlten Influencer etwas falsch machen.
Es geht den Leuten darum, Ihr Bild der E-Zigarette zu verteidigen. Und damit letztendlich sich selbst. Gegen Angriffe, die nur in ihren Köpfen stattfinden.
So, und jetzt muss ich echt mal mit ernsthaften Sachen weitermachen hier.
Wir sehen uns.
Bierchen, in der Frittenbude am Sportplatz, neben den Spielautomaten.
Joey Hoffmann
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