Am vergangenen Mittwoch habe ich einen Artikel zu den geleakten Ergebnissen der Verbände veröffentlich. In dem ich empfohlen habe, bis auf weiteres auf den Konsum von sucralosehaltigen oder sehr süßen Liquids zu verzichten.
Und wie zu erwarten sind dazu weite Diskussionen entstanden.
Einzelne Positionen scheinen sich unversöhnlich gegenüberzustehen.
Andere müssen über mich urteilen. Aber ich bin recht sicher, ich bin nicht für mein Harmoniebedürfnis bekannt. Trotzdem finde ich einige Argumente und Positionen von beiden Seiten schlicht unklug und vor allem unproduktiv.
Irgendwie sitze ich wiedermal zwischen den Stühlen. Denn einerseits empfinde ich viele Forderungen und Meinungen von Konsumenten schlicht über der Spur. Andererseits klammern Hersteller sich an Argumente, die niemanden erreichen. Einerseits fühle ich mich der Sachlichkeit verpflichtet, andererseits stehe ich dem übersüßten Markt der Shake & Vape eher ablehnend gegenüber.
Liebe Dampfer, wir müssen reden.
Liebe Hersteller, auf ein Wort.
Liebe Dampfer,
ich bin mir ziemlich sicher, niemand wird von Sucralose im Liquid sofort tot umfallen.
Halten wir das doch bitte erst einmal fest.
Ich bin etwas erschüttert über die Reaktionen, die inzwischen kamen.
Obwohl diese Reaktionen innerhalb der Dampferblase doch deutlich geringer ausgefallen sind als ich erwartet hatte. Denn interessanterweise schweigen ausgerechnet die, die vorher am lautesten geschrien haben.
Persönlich gehe ich davon aus, dass einige merken, dass die ganze Nummer dann doch etwas differenzierter ist, als sie es dargestellt haben. Und das klar wird, dass die Hersteller sich durchaus darum kümmern, wissen worum es geht und ein Auge darauf haben.
Erschüttert bin ich über die Pegelausschläge zu beiden Seiten.
Da gibt es nun die, denen es schlicht egal ist. Die sich darauf zurückziehen sich einzureden, auch Liquids mit Sucralose seien weit unter der Schädlichkeit von Tabakzigaretten.
Um es einmal sehr deutlich zu sagen: Wenn man nicht sagen kann, ob etwas schädlich ist, kann man auch nicht sagen, wie schädlich etwas ist.
Natürlich ist Dampfen durch den Wegfall des Verbrennungsprozesses um Längen weniger schädlich als verbrannten Tabak zu inhalieren. Aber das ist doch bitteschön eine vereinfachende Aussage. Ebenso wie die berühmten 95 Prozent immer nur dazu dienen können ein Verhältnis herzustellen.
Die Dosis macht doch das Gift. Und wer sich nun zur Beruhigung einredet, Dampfen müsste zwangsläufig weniger schädlich sein, kann gerne einmal Cyanwasserstoff inhalieren. Er wird überrascht sein. Kurz aber beeindruckend.
Auf der anderen Seite gibt es nun die, die etwas von verschwörerischer Geheimhaltung durch die Hersteller krakeelen und fordern, alle müssten sofort auf Sucralose verzichten.
Dass die Verbände nicht sofort mit den neuen Erkenntnissen öffentlich gegangen sind, mag moralisch fragwürdig erscheinen. Ist es aber nicht.
Denn abgesehen davon, dass die Verbände zunächst einmal nur ihren Mitgliedern Rechenschaft schuldig sind, steht ja nicht fest, ob Sucralose tatsächlich eine akute Gesundheitsgefahr bedeutet.
Die Forderung, auch auf die bloße Möglichkeit einer Gefährdung hin auf einen Grundstoff zu verzichten, zeugt ganz einfach von einer irrationalen Vorstellung, wie die Lebensmittelindustrie und die Wissenschaft funktionieren.
Denn ein Hersteller kann nicht alle Grundstoffe erst einmal auf Unbedenklichkeit testen lassen. Und ein Wissenschaftler würde nicht einmal Leitungswasser eine Unbedenklichkeit bescheinigen.
Wir sind täglich umgeben von potenziell gesundheitsschädlichen Stoffen. Alles scharf Gebratene, Gegrillte und Frittierte enthält Formaldehyd und Obstkerne enthalten Blausäure. (Ja, ja, Amygdalin, googeln kann ich auch.)
Es ist doch vollkommen logisch, dass die Hersteller erst einmal schauen, ob eine akute Gesundheitsgefahr von einem Zusatzstoff ausgeht.
Sich dessen nicht bewusst zu sein bedeutet Eigenverantwortung zu ignorieren. Und diese Eigenverantwortung kann kein Gesetz der Welt einem Verbraucher abnehmen.
Wer das ignoriert, legt auch weiterhin Tiefkühlgarnelen aus Vietnam und Äpfel aus Venezuela in den Einkaufswagen.
Deshalb habe ich auch nicht vor Sucralose gewarnt. Sondern in der derzeitigen Situation empfohlen, auf Liquids mit Sucralose zu verzichten.
So lange, bis verlässlichere Erkenntnisse vorliegen und die Zusatzstoffe auch in nikotinfreien Liquids ausgezeichnet werden; oder ab Januar werden müssen. Denn erst dann kann der Enddampfer eine eigenverantwortliche Entscheidung treffen.
Nur um das einmal sehr klar zu sagen:
Wenn neue Erkenntnisse dazu rauskommen, werde ich darüber berichten. Und dann werde ich meine Empfehlung auch zurücknehmen. Oder davor warnen, je nachdem.
Und wären die Erklärung der Verbände nicht geleakt worden, hätte ich dazu auch nichts veröffentlicht und nicht beim BfTG nach Freigabe der Untersuchungsergebnisse gefragt.
Ich sehe die gleichen Mechanismen wie bei jeder durch die Erregungsbereitschaft des Netz 2.0 aufgeplusterten Welle.
Auf der einen Seite die, denen das alles egal ist. Und auf der anderen Seite die, die den Untergang der Welt kommen sehen. Und dazwischen ganz viele, die die Ergebnisse gar nicht verstanden haben oder Falschinformationen öffentlich in den Äther blasen.
Wenn jemand auf Sucralose verzichten will – was ich ebenfalls tun werde – dann ist das ein vollkommen akzeptabler und ernstzunehmender Wunsch. Aber etwas mehr Geschmeidigkeit wäre wünschenswert. Und Sachlichkeit allemal.
Vielleicht kann ich an dieser Stelle einmal eine etwas andere Perspektive anbieten:
Die E-Zigarette ist eine Idee der Harm Reduction. Und die allermeisten sind umgestiegen um Gesundheitsgefahren zu reduzieren.
Wir sind gerade an einem Punkt, an dem wir das Dampfen noch weniger riskant machen können. Ist doch toll, oder?
Da die Wissenschaft immer weiter fortschreitet und die Messgenauigkeit immer feiner wird, wird es sicher auch zu weiteren solchen Erkenntnissen kommen.
Panik zu verbreiten und ausnahmslos alle Hersteller pauschal als Feind auszumachen ist ebenso wenig hilfreich wie sich einzureden, Dampfen wäre gleichbedeutend mit dem ewigen Leben.
Liebe Hersteller,
könnt Ihr Euch an den Glykol-Skandal erinnern?
Zugegeben, nicht wenige von Euch haben 1985 noch die Wolle aus dem Teddy gezupft. Aber es war schon eine große Sache. Die Mutter aller Lebensmittelskandale.
Der Nordeuropäer bevorzugt süße Weine. Selbst wenn alle erzählen, sie würden zehn Jahre alten Sauvignon Blanc bevorzugen, auf dem Tisch steht der liebliche Moselaner Schädelbruch vom letzten Jahr. Deshalb werden viele Weine gesüßt.
Irgendwann kamen einige österreichische Winzer auf die Idee, anstatt Zucker Diethylenglycol zu verwenden. Das ist zwar giftig, aber süß.
Aufgefallen war das nur, weil sie ordnungshalber versucht hatten, das als Frostschutzmittel steuerlich geltend zu machen.
Zu Schaden gekommen ist dadurch wohl niemand. Denn die Weine wiesen zumeist eine Konzentration auf, die unterhalb der Schädlichkeit lag. Und die meisten wurden dann auch noch bei Großabfüllern verschnitten.
Nach Bekanntwerden sank der Absatz von österreichischem Wein auf nahezu null. Etwa 90 Prozent des Branchenkapitals wurden vernichtet. Vor allem kleine Winzer mussten dicht machen.
Natürlich habt Ihr nichts Illegales getan. Sucralose ist als Lebensmittelzusatz zugelassen. Daher muss der Vergleich hinken. Aber es gab ja noch mehr solcher Skandale.
Der Vergleich soll verdeutlichen:
Es geht nicht um schädlich oder nicht. Es geht um Vertrauen.
Pferdefleisch in Lasagne tut niemandem weh. Außer dem Pferd. Der Rheinländer blickt vom Sauerbraten auf und zuckt mit den Achseln.
Es ist ziemlich unwichtig, ob Sucralose bei der Verdampfung nun tatsächlich in relevante Mengen gesundheitsschädlicher Abbauprodukte zerfällt oder nicht. Wichtig ist nur, ob die Konsumenten das akzeptieren.
Bei der Diskussion um die Sucralose muss ich allerdings feststellen, dass viele von Euch in eine akademische Debatte verfallen. Um Dosierungen, Temperaturen und Nachweisgrenzen.
Was erst einmal logisch erscheint. Denn es ist ja naheliegend erklären zu wollen, dass das eigene Produkt nicht schädlich ist. Oder zumindest wahrscheinlich nicht.
Doch damit argumentiert Ihr völlig an den Erwartungen der Konsumenten vorbei.
Schlimmer noch: Ihr erweckt durch diese Kommunikation den Eindruck verschleiern und eure Pfründe sichern zu wollen. Und das scheint vielen gar nicht klar zu sein.
Ihr selber habt einen Markt erschaffen, der für die gefühlte Wahrheit eines Endverbrauchers maximal undurchsichtig ist.
Es werden Grundstoffe von irgendwoher eingekauft, irgendwo abgefüllt und in hoher Frequenz auf den Markt geworfen. Es wird in Lizenzen abgefüllt und für jeden YouTuber ein neues Branding kreiert.
Wir stehen auf, waschen unser Haar mit Garnier, machen unseren Kindern einen Nesquik Kakao, trinken ein Perrier, kleckern mit unserem Mövenpick Eis auf unsere Diesel Jeans, geben unserer Katze ihr Felix und sehen abends neidisch die Werbung von Giorgia Armani. Und wenn wir herausfinden, dass eigentlich nur der Nestle Konzern uns durch den Tag gebracht hat, fühlen wir uns hintergangen.
Einen solchen Markt habt Ihr selber inzwischen bei den Liquids etabliert. Und in der Vorstellung der „alten Dampfer“ könnte nichts weiter von den Ursprüngen der E-Zigarette entfernt sein. Doch das sind die Realitäten der freien Marktwirtschaft.
Viele dampfen Must Have, Antimatter, Dampflion Checkmate, Copy Cat, German Liquids von Highendsmoke, K-Boom oder Bonkers & Bob, aber haben noch nie von Culami gehört. Und Ihr wisst das.
Die Frage ist nur noch die Marktdurchdringung. Wie viele Konsumenten skeptisch werden und auf Sucralose verzichten möchten. (Die kritische Masse liegt unter 10%.) Wie sehr deren Sorge es schafft, Euch zum Umdenken zu bewegen.
Nicht zum Umdenken, ob Sucralose schädlich ist. Sondern zum Umdenken, die Wünsche der Dampfer zu verstehen und anzunehmen.
Ihr hättet bereits nach der öffentlichen Äußerung von Prof. Dr. Bernd Mayer die Chance gehabt zu reagieren.
Ihr hättet die Rezepte und die Produktion umstellen können. Und einige haben es ja getan.
Fast ein Jahr lang hättet Ihr dicke Werbung mit Verantwortungsbewusstsein, Kundennähe und Konsumentenschutz machen können. Die Chance wurde verpasst, nun lauft Ihr hinterher.
Und wenn das Werbeverbot durch ist, dürft Ihr es nicht einmal mehr groß erzählen, wenn Ihr dann doch noch reagiert.
Nun kommen immer mehr Informationen ans Licht. Ab Januar muss Sucralose auch auf Nikotinfreien ausgezeichnet werden. Und eine Aufnahme in die Verbotsliste kostet die Konsumentenschützer in den Behörden kein müdes Lächeln.
Ob Sucralose nun tatsächlich nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten schädlich ist, ist heute schon die Diskussion von gestern.
Und es würde mir wirklich sehr leidtun. Vor allem für die vielen kleinen Hersteller und Shops, die ihren Kunden fernab von gehypten Shake & Vape auf Social Media mit Liebe und Engagement Geschmacksvielfalt und etwas Gutes bieten wollten. Und die es bei den wellenartigen Unsicherheiten des Marktes immer als erstes trifft.
Joey Hoffmann
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