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Der Hass auf das System

Ich habe Fragen

Es ist gerade ziemlich angesagt zu hassen. Jeder hasst irgendwen oder irgendwas. Auch ich.

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Ich hasse Verpackungen, die nicht richtig aufgehen. Und wie das Wasser spritzt, wenn man den Löffel beim Abspülen falschherum unter den Wasserhahn hält. Und Horrorfilme mit besessenen Kindern. Es ist mir einfach nicht möglich, einen dämonischen Dreikäsehoch für bedrohlich zu halten, dem man vor seinem Amok herauslegen muss, was er anziehen soll. Mal ehrlich, fällt denen nicht mal was Neues ein? Hörst Du mich, Netflix? Nicht. Gruselig.

Modern ist es gerade, andere Menschen zu hassen. Weil man sie für fremd hält. Besonders beliebt ist in diesem Zusammenhang der Hass gegen Menschen, die sich tatsächlich erdreisten sich die Errungenschaften zu wünschen, in denen wir ziemlich satt und sicher leben. Und die sogar bereit sind, dafür ihr Leben zu riskieren.

Aber es werden alle möglichen Menschen gehasst. Kinder, die freitags nicht in die Schule gehen, weil sie etwas für die Umwelt tun wollen. Menschen, die kein Problem damit haben zum Schutz anderer Masken zu tragen. Oder auch Menschen, die eine Freiheit für alle anstreben, die uns erst die Freiheit beschert hat, in der wir leben.

Vermutlich ist es eine Übersprungshandlung, dann einfach das ganze System zu hassen. Weil man mit seinem Hass nicht weiterkommt, oder weil man nicht so genau definieren kann, wen man jetzt genau hasst. Und warum. Also hasst man mal „die da oben“. Wie ein Hund, der sich verlegen zwischen den Beinen leckt, weil er nicht weiß, wie er sonst reagieren soll.

Ich bin sehr froh, dass Menschen das nicht können und ihren Hass anders kanalisieren müssen. Obwohl ich schon einmal gerne sehen würde, wie tausende Querdenker sich vor dem Reichstag selber oral befriedigen.
Vermutlich wäre das Bild für immer in meinem Hirn eingebrannt. Aber das ist halt die kindliche Neugier, die uns alle umtreibt. Auch wenn es nicht zu unserem Besten ist.

Das Problem mit der Demokratie

Damit habe ich als Sozialdemokratieextremist und bekennender Anhänger der radikalen Mitte ein Verständnisproblem. Was bedeutet dieser Hass gegen „das System“?
Denn der Kern unseres Systems ist ja die Demokratie.

Demokratie bedeutet nicht, dass jeder gleich viel wert ist. Die Vorstellung an sich ist ja bereits absurd. Wieviel wert für wen? Und wie definiert man diesen Wert?
Demokratie bedeutet auch nicht, dass gemacht wird, was jeder Einzelne will. Oder jeder Einzelne machen kann, was er will.
Demokratie bedeutet auch mal unterlegen zu sein und zu machen, was die Mehrheit will.

Historiker schätzen, dass nur etwa 20 Prozent aller Menschen im alten Athen, der mutmaßlichen Keimzelle des Konzeptes, überhaupt an der Demokratie teilnehmen konnten. Sklaven, Frauen, Schuldner und Arbeitslose waren ausgenommen. Und alle jene, die keine Zeit hatten, unbezahlten Urlaub zu nehmen und zu Abstimmungen in die Stadt zu gehen. (Der öffentliche Personennahverkehr war erschreckend schlecht.)

Auch im alten Rom war Demokratie irgendwie ziemlich elitär. Nicht nur, dass da auch alle rausfielen, die auch in Athen rausgefallen sind. Den Kindern des Adels war im cursus honorum vorherbestimmt, welche Ämter sie durchlaufen würden, um in die höchsten Gremien aufsteigen zu können. Da kam man als Pommesbudenverkäufer nicht einfach so rein.
Und die Reichen konnten die Armen jederzeit überstimmen.

Für so einen Start sind wir ziemlich weit gekommen.



Was für ein System überhaupt?

In unserer Demokratie kann jeder einer von „die da oben“ werden, wenn er es will. Das ist der Kern der aufgeklärten Demokratie. Das haben unsere Vorväter für uns erstritten.
Wenn also jemand das System oder „die da oben“ hasst, frage ich mich, warum er nicht einfach selber einer von denen da oben wird und es ändert.

Früher sagte man zu System übrigens Staatsform.
Das System, das wahrscheinlich vor einigen Jahren von niemandem als System bezeichnet wurde, der alle Nadeln an der Tanne hat, ist sicher nicht perfekt. Darüber muss man streiten und diskutieren, dafür muss man kämpfen und sich einsetzen.
Aber genau das überhaupt zu können ist doch fundamentaler Bestandteil dieses Systems. Noch nie hatten Menschen so viele Freiheiten, so viele Rechte und so viele Möglichkeiten der Mitgestaltung.

Ich glaube sogar, dass viele es nur als „System“ bezeichnen, weil sie es nicht anders ausdrücken können. Es ist so ein inhaltsloses Modewort wie Klimahysterie, Anti-Abschiebe-Industrie oder alternative Fakten. Sozialtourismus mit Megaperls, von Zahnarzthausfrauen empfohlen. Bei Impflingen denke ich immer, das ist ein Stadtteil von Stuttgart.
Aber gut, bleiben wir bei „System“.

Wie hätten Sie es gerne?

Ich habe den Eindruck, dass es zwei Arten von Menschen gibt, die das System hassen.
Diejenigen, die aus anderen Gründen nicht daran teilhaben können. Die das System nicht verstehen oder damit überfordert sind. Und diejenigen, die davon profitieren, dass andere das System hassen und nicht verstehen.

Die hassen das System auch nicht wirklich. Sie profitieren davon. Wie ein Michael Ballweg, der sich „Querdenken“ in verschiedenen Variationen als Marke hat schützen lassen. Oder ein Rechtsanwalt Reiner Fuellmich, der viel Geld für eine Sammelklage einsammelt, die nirgendwo Erfolg verspricht. Oder ein Sucharit Bhakdi, der Millionen mit einem populistischen Buch macht, von dem sich sogar eine Universität distanziert, für die er vorher geforscht hat.
Diese Profiteure gibt es in jedem System. Denn sie sind anpassungsfähig.

Spannender sind doch diejenigen, die das System wirklich hassen.
Bei denen frage ich mich dann aber, wie nach deren Meinung das System aussehen sollte, das sie sich wünschen.
Denn jemand, der in einem System auf der untersten Sprosse der sozialen Leiter steht, wird es doch – nach derzeitigem Stand der Menschheitsgeschichte – auch in jedem anderen. Man müsste also schon was ziemlich Neues erfinden.

Offenbar ist vielen auch nicht aufgefallen, dass die vermeintlichen Grundrechte gerade weltweit eingeschränkt werden. Vom freiheitsliebenden Kanada über das postsowjetische Russland bis zur nordkoreanischen Diktatur.
Wo gibt es ein System, das nicht gewisse Rechte Einzelner zum Schutze Vieler einschränken kann? Und welche Folgen hätte das wohl bei einer Zombieapokalypse?

Die Antworten darauf sind zunehmend verwirrend.
Pressefreiheit ja, außer für die Medien, die etwas veröffentlichen, was ihnen nicht passt.
Meinungsfreiheit für alle, außer für die, auf deren Plattformen sie ihre Meinung äußern wollen. Oder die etwas gegen ihre Meinung sagen.
Wissenschaftliche Fakten sind wichtig, außer sie widerlegen ihre Meinung.
Grundrechte für alle, außer für die anderen.
Alle haben irgendetwas zu sagen. Alle sind Häuptlinge, aber ohne Indianer.

Für mich hört sich das sehr sozialistisch an. Mit etwas Nationalismus vermischt.
Hatten wir schon mal. Hat sich irgendwie nicht durchgesetzt.


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Joey Hoffmann

Begründer und inhaltlich Verantwortlicher bei vapers.guru
Freier Redakteur, zuvor angestellter und selbstständiger Marketingberater und Mediengestalter, Fachbereich Facebook und Wordpress. Mitglied des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes.

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