Am Montag fand von 11:30 Uhr bis ca. 13:00 Uhr die Anhörung des Finanzausschusses zum Tabaksteuermodernisierungsgesetz statt.
Die öffentliche Anhörung fand coronabedingt als Videokonferenz statt.
Die Aufzeichnung wurde zu Beginn der Veranstaltung durch die Vorsitzende untersagt.
Daher werde ich im folgenden Versuchen, anstatt eines allgemeinen Berichtes, protokollarisch den Verlauf und vor allem die Wortmeldungen wiederzugeben und im Einzelfall zu kommentieren. Zusätzlich gebe ich Informationen zu den Abgeordneten und den jeweiligen Sachverständigen.
Das Thema E-Zigarette und Tabakerhitzer hat erwartungsgemäß, aber überraschend deutlich, den weit überwiegenden Teil der Anhörung eingenommen. Denn die SPD hat mehrfach mit einer Lenkungswirkung der Steuer argumentiert, die jedoch bei den niedrigen Steuererhöhungen auf Rauchtabak dort kaum eine Wirkung entfalten dürfte.
Zur Erklärung:
Den Parteien, bzw. deren Vertreter im Ausschuss, stehen jeweils Zeitfenster (Slots) von fünf Minuten für Fragen und Antworten zur Verfügung. Die Verteilung der Zeitfenster richtet sich nach der Gewichtung im Bundestag.
Ebenso durften die Parteien entsprechend Sachkundige (oder Organisationen) einladen: Die CDU/CSU drei, die SPD zwei und die restlichen Parteien jeweils einen. Die AfD hatte niemanden eingeladen oder, wie Gerüchte besagen, niemanden gefunden. Im Vorfeld hat die AfD sich bis heute als einzige Partei noch nicht zur E-Zigarette geäußert.
Ich werde die Slots chronologisch wiedergeben. Es sind insgesamt 18.
Vorgeschichte
Das von der SPD geführte Finanzministerium, unter der Führung von Finanzminister und Kanzlerkandidaten der SPD Olaf Scholz, legte im Februar überraschend einen Gesetzesentwurf zur Modernisierung der Tabaksteuer vor.
Das war deshalb überraschend, weil die Regierung erst im Januar auf kleine Anfragen der Linken und der Grünen geantwortet hatte, es sei keine Anpassung geplant. Ein geleaktes Dokument zeigt aber, dass seit mindestens Oktober 2020 daran gearbeitet worden sein muss.
Dieser Entwurf des Tabaksteuermodernisierungsgesetzes wurde in der Koalitionsrunde der CDU/CSU und SPD abgenickt. Und dann offiziell in den Bundestag eingebracht.
Das Gesetzesvorhaben soll nun in einem sehr engen Zeitplan noch vor der Bundestagswahl durchgedrückt werden.
„Liquidsteuer“ deshalb, weil erstmals eine Steuer auf nikotinhaltige Liquids für die E-Zigarette erhoben werden soll.
Während die geplanten Erhöhungen für Rauchtabak vergleichsweise gering und großzügig gestaffelt sind, sollen Liquids in zwei Schritten mit bis über 800% besteuert werden. Der Versuch der Umrechnung zum Vergleich mit Tabakzigaretten im Entwurf kann als abenteuerlich bezeichnet werden.
Slot 1, CDU/CSU
Die erste Frage der CDU/CSU kam von dem Nürnberger Finanzexperten Sebastian Brehm und richtete sich an den von der Fraktion eingeladenen Dustin Dahlmann, Vorsitzenden des Händlerverbandes Bündnis für Tabakfreien Genuss BFTG.
Brehm wollte für den Einstieg eine allgemeine Einschätzung eines Praktikers haben.
Dahlmann stellte die Berechnungsgrundlage als wichtigsten Diskussionspunkt für seinen Verband heraus.
Er kritisierte, dass in der Berechnung des Gesetzentwurfs – ohne Quellenangaben – ein Milligramm Nikotin im Liquid zehn Zigaretten entsprechen soll.
Angesichts der Tatsache, dass E-Zigaretten und Tabakzigaretten völlig unterschiedlich funktionieren, könne man das nicht so einfach umrechnen. Er bezeichnete die Berechnungsgrundlage als „nicht korrekt“.
Anm.: Das BfTG hat mit seiner schriftlichen Stellungnahme eine Beurteilung des bekannten Toxikologen und Pharmakologen Prof. Dr. Bernd Mayer von der Uni Graz eingereicht, die diesen Versuch der Gleichstellung ad absurdum führt.
Slot 2, SPD
Der Abgeordnete und Gymnasiallehrer Michael Schrodi richtete die erste Frage der SPD an die Sachverständige Dr. Katrin Schaller vom Deutschen Krebsforschungsinstitut DKFZ. Sie ist Interims-Leiterin der Stabsstelle Krebsprävention, die zuvor von Dr. Martina Pötschke-Langer geleitet wurde.
Schrodi fragte nach Ihrer Einschätzung der eher moderat geplanten Steuererhöhung für Rauchtabak.
Schaller antwortete, dass eine Besteuerung das wirksamste Instrument sei, um vom Rauchen abzuhalten. Daher beurteilte sie die geplante Steuererhöhung als „nicht geeignet“ und „viel zu gering“.
Die Frage richtete sich auch an den Gesundheitsökonomen Dr. Tobias Effertz aus Hamburg, der bereits mehrfach (ablehnend) zur E-Zigarette ausgesagt hatte. Doch da es hier ausgesprochen um Rauchtabak ging, sagte Effertz nichts anderes als Schaller.
Anm.: Schrodi verschenkt hier unerklärlich Redezeit. Denn das DKFZ hatte bereits schriftlich seine Position dargelegt. Somit wurde die Zeit tatsächlich darauf verwendet, den Gesetzentwurf durch die „eigenen“ Sachverständigen kritisieren zu lassen.
Wichtig zu verstehen: Die Abgeordneten des Bundestages können nur mit Ja oder Nein stimmen. Es gibt keine Möglichkeit, den Gesetzentwurf beispielsweise mit mehr oder weniger Steuern zu beschließen. Er wird so genommen wie er ist, oder eben nicht.
Jede Äußerung gegen die geringe Tabaksteuer ist damit auch ein Argument gegen das Gesetz. Und Schrodi lädt die eigenen Experten dazu ein, sich gegen den eigenen Gesetzentwurf zu äußern.
Eine Nachfrage von Schrodi ging erneut an Effertz, ob der Schmuggel durch eine Steuerhöhung zunehmen würde. Effertz sagte, er habe selber Studien durchgeführt und sehe keinen Zusammenhang zwischen Steuerhöhe und Menge der geschmuggelten Produkte. Die Tabakindustrie würde deutlich übertreiben.
Anm.: Das Argument ist in sich unschlüssig, denn ein Tabakkonzern verdient an einer Schachtel Zigaretten, egal wo sie gekauft wird. Sie hat keinen Grund zu übertreiben. Sie wollen keine deutschen Konsumenten verlieren. Ob sie ins Ausland ausweichen, kann ihnen relativ egal sein.
Slot 3, AfD
Die 75-jährige Diplom-Kauffrau Franziska Gminder richtete ihre Frage an Dr. Schaller vom DKFZ. Sie wollte wissen, warum der Anteil der Steuereinnahmen verringert wurde, der an die Krankenkassen abgegeben wird. Was Schaller nicht beantworten konnte.
Also fragte Gminder dann, ob der Gesetzentwurf eher eine Lenkungssteuer im Sinne der öffentlichen Gesundheit sein soll, oder ob er eher der Generierung von Steuergeldern dienen soll.
Schaller gab einfach das wieder, was auch im Gesetzentwurf steht. Was sie auch so sagte. Der Entwurf diene vor allem den Einnahmen.
Anm.: Man bekam an dieser Stelle leicht den Eindruck, die Abgeordnete der AfD leide nicht nur unter Problemen mit der Technik, sondern auch unter Orientierungsschwierigkeiten worum es überhaupt geht. Sie Fragt nach Dingen, die durch den vorliegenden Gesetzentwurf beantwortet werden.
Ihre letzte Frage richtete Gminder an Prof. Dr. Storck. (siehe unten) Der in den verbleibenden Sekunden lediglich deutlich machen konnte, dass die E-Zigarette etwa 95 Prozent weniger schädlich ist und es einen historischen Niedrigstand der Raucher bei Jugendlichen gibt. Typisch Wissenschaftler schüttelte er dafür entsprechende Quellen aus dem Ärmel. (FDA, PHE, BFR, etc.)
Slot 4, CDU/CSU
Die nächste Frage der Union stellte der Rechtsanwalt Olav Gutting an die beiden Mediziner Prof. Dr. Storck und Dr. Rüther.
Martin Storck ist Direktor der Klinik für Gefäß- und Thoraxchirurgie des Städtischen Klinikums Karlsruhe, mit Gastprofessuren an der Hirosaki-Universität in Japan sowie in der Saudi-German Hospital Group im Nahen Osten
Tobias Rüther ist Suchtforscher und Leiter der Tabakambulanz der Universitätsklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München
Guttings Frage betraf vor allem, dass die geplante Steuer auf das gesundheitsschädliche Nikotin abziele. Dass das Nikotin aber offenbar „gar nicht so das Problem ist“.
Rüther stellte unmissverständlich klar, dass Nikotin keine krebserregende Wirkung habe und im Vergleich zu anderen Inhaltsstoffen des Tabakrauchs nur „moderate“ Wirkungen auf das Herz-Kreislauf-System. Das seien, wenn überhaupt, nur Laborversuche. Er griff wiederholt eine alte Losung des Suchtforschers Dr. Michael Russel aus den 1970ern auf.
„Um es ganz klar zu sagen: Raucher rauchen wegen des Nikotins, sie sterben an den Verbrennungsprodukten.“
Dr. Tobias Rüther, Leiter der Tabakambulanz der LMU, Anhörung Finanzausschuss, 17.05.2021
Storck machte deutlich, dass alle Mediziner eine Besteuerung von gesundheitsgefährdenden Stoffen begrüßen. Dass man diese aber „gesundheitsadjustiert“ betrachten muss. Er wies auf Studien hin, die zeigen, dass das Gesundheitsrisiko dieser neuen Produkte im Bereich von 5 Prozent dessen der Tabakzigarette liegt. Darüber hinaus erwähnte er ausdrücklich, dass diese Produkte nach neusten Erkenntnissen (Cochrane Review) auch zum Ausstieg geeignet seien.
Nachfrage von dem Abgeordneten Gutting zur Datenlage an Prof. Dr. Storck, die dieser mit sehr genauer Schilderung einer Studie aus den Niederlanden sehr fachgerecht beantwortet. („Mathematische Modellierung in einem Integral“)
„Ansonsten kann man verweisen auf die Messdaten des Bundesamtes für Risikobewertung. Die haben eben das gemessen, was im Aerosol drin ist. Und das liegt auf dem Tisch, diese Daten. Das wurde auch von der FDA nachgewiesen. Das sind eben toxikologische Fakten, die dafürsprechen, dass die E-Zigarette und auch der Tabakerhitzer – der immer so zwischen E-Zigarette und Zigarette angesiedelt wird… der liegt ganz nah bei der E-Zigarette – was das Expositionsrisiko von karzinogenen Substanzen angeht.“
Prof. Dr. Martin Storck, Direktor der Klinik für Gefäß- und Thoraxchirurgie, Städtisches Klinikums Karlsruhe, Anhörung Finanzausschuss, 17.05.2021
Slot 5, FDP
Der Abgeordnete Til Mansmann, der bekanntermaßen der Tabakindustrie mindestens liberal gegenübersteht, richtete seine erste Frage an den von seiner Fraktion eingeladenen Jan Mücke.
Mücke ist FDP-Mitglied, saß in der letzten Legislaturperiode selber im Bundestag und ist nun Hauptgeschäftsführer des BVTE, des Bundesverbandes der Tabakwirtschaft und neuartiger Erzeugnisse. Er gilt als Cheflobbyist der Tabakindustrie in Berlin.
Geschickt griff er die Behauptung von Effertz (Slot 2) auf, eine Steuererhöhung würde nicht zu einem steuerausweichenden Verhalten führen. Das würde ihn wundern, widerspräche es doch seiner Erfahrung als jemand, der im Grenzgebiet zu Frankreich aufgewachsen sei. Er unterschied zwischen Schmuggelwahre, legaler Einfuhr (die dann auch nicht in Deutschland versteuert sei) und gefälschten Produkten. Insbesondere, wie sich das auch bei den neuartigen Erzeugnissen verhalte.
Mücke belegte dieses Ausweichverhalten anhand einer Steuererhöhung 2003 – 2005 um einen Euro pro Schachtel Zigaretten. Etwa 21 Prozent aller in Deutschland gerauchten Zigaretten seien nicht in Deutschland versteuert worden. Ein Drittel davon seien wiederum gefälscht.
Das gleiche würde nun auch für neuartige Produkte gelten, eine Besteuerung sei „fiskalpolitisch hochriskant“. Er erwähnte die Gewerkschaften der Polizei und des Zoll, welche die Steuerpläne als „Konjunkturprogramm für die organisierte Kriminalität“ bezeichnet hätten.
Als Beispiele nannte er Estland und Italien, welche ähnliche Versuche unternommen hatten.
Anm.: Mücke erwähnte zwar E-Zigarette und Tabakerhitzer, ging aber nicht näher darauf ein, obwohl hier eine vergleichbar horrende Steuererhöhung kommen würde.
Slot 6, Die Linke
Der Soziologe Jörg Cezanne von den Linken richtete seine Frage an den von seiner Fraktion eingeladenen Dr. Bernd Werse.
Werse ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Mitbegründer des Centre for Drug Research an der Goethe Universität in Frankfurt am Main. Er hatte sich bereits in einer vorab veröffentlichten Stellungnahme „bestürzt“ über den Plan der SPD gezeigt.
Da Werse bereits zum Antrag der Grünen zur Besteuerung ausgesagt hatte, fragte Cezanne lediglich, wie Werse den nun vorliegenden Entwurf beurteilen würde. Und welche Lenkungswirkung er erwarten würde.
Werse merkte an, dass bereits bei der Anhörung im September „eine sehr deutliche Mehrheit der Expertinnen und Experten“ sich gegen eine hohe Besteuerung von E-Zigaretten und Tabakerhitzern ausgesprochen hatte.
„Insofern ist mir das vollkommen unbegreiflich, wie dieser Gesetzentwurf überhaupt entstehen konnte.“
Dr. Bernd Werse, Centre for Drug Research, Goethe Universität Frankfurt am Main, Anhörung Finanzausschuss, 17.05.2021
Werse machte deutlich, dass man eben nicht die Ausweichprodukte höher besteuern solle, weil es dann zu Ausweichbewegungen geben könnte. Eine Lenkungswirkung sah er nicht als wahrscheinlich.
Er erwähnte auch Erfahrungen zu diesen Ausweichbewegungen aus Italien, aber auch aus US-amerikanischen Bundesstaaten. Und er erwähnte, dass es „auch im Internet Anleitungen gibt, wie man sich Liquids selber zusammenpanschen kann.“ Man könne sich aus dem Ausland hochkonzentrierte Nikotinlösungen bestellen. Das sei „nochmal eine zusätzliche Gefährdung der öffentlichen Gesundheit.“
Die erwarteten Steuereinnahmen würden so gar nicht erreicht werden.
Auf Nachfrage bestätigte Werse, dass es Evidenz und neue Studien gibt, dass Menschen es mithilfe von E-Zigaretten schaffen, ihren Rauchkonsum zu verringern.
Protokoll: Anhörung zur Liquidsteuer – Teil 1
Protokoll: Anhörung zur Liquidsteuer – Teil 2
Protokoll: Anhörung zur Liquidsteuer – Teil 3
Joey Hoffmann
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