Die Deutsche Presseagentur hat am vergangenen Samstag die Schätzungen des VdeH aufgegriffen. Demnach sank der Branchen-Umsatz seit 2018 um die Hälfte. Die Gründe dafür dürften nicht die sein, welche die Branche gerne sieht.
Am vergangenen Samstag hat die Deutsche Presseagentur dpa die jährlichen Schätzungen zu den Jahresumsätzen der Branche übernommen. Diese gibt der Händlerverband VdeH regelmäßig heraus, wobei sie eher auf Schätzungen beruhen.
Das Hoch war laut dieser Schätzungen im Jahr 2018 mit 550 Millionen Euro erreicht. Seitdem sank es stetig. Für das Jahr 2021 geht der Händlerverband nun von einem Branchenumsatz von 280 Millionen Euro aus, knapp die Hälfte.
Als Gründe dafür wird üblicherweise die so genannte EVALI „Krise“ angegeben.
2019 erkrankten vor allem junge Männer in den USA an einem Syndrom, nachdem sie laut Behörden und Medien „E-Zigaretten“ konsumiert hatten. Über 2800 Menschen kamen in Krankenhäuser, 68 starben.
Die Medien berichteten auch hierzulande, zumeist undifferenziert – mit Informationen durch Gegner der E-Zigarette versorgt.
Letztendlich stellte sich heraus, dass die Menschen illegale THC-Liquids konsumiert hatten. Die wasserunlösliches Tocopherylacetat (Vitamin-E-Acetat) enthielten. (Ausführlicher Artikel hier…)
Viele Dampferinnen und Dampfer wurden verunsichert, im stationären Handel brachen die Umsätze bis zu 40 Prozent ein.
Anschließend folgten dann auch noch Beschränkungen und Lockdowns durch Corona. Die Branche rutschte von einer Krise in die nächste.
Dennoch ist fraglich, ob das die allein verantwortlichen Gründe für den massiven Rückgang sind.
Fragwürdige Erklärungen
Durch Lockdowns endet der Konsum nicht. Es wurde während der Corona-Zeit sogar mehr geraucht. Dennoch begründete der neue Geschäftsführer des VdeH Oliver Pohland den Rückgang mit „zeitweise geschlossenen Geschäften.“
Das wäre natürlich möglich, wenn Konsumenten wieder zur leichter verfügbaren Tabakzigarette wechseln. Dann muss die Branche sich die Frage gefallen lassen, ob sie tatsächlich Umsteiger und Tabakabstinente versorgt. Oder doch eher auf junge, eventorientierte Kunden setzt.
Der Online Handel war nie geschlossen.
„Zudem seien die Menschen weniger in Kneipen oder auf Partys unterwegs gewesen und hätten daher auch weniger Anlass gehabt zum geselligen Dampfen.“, so Pohland laut dpa weiter.
Auch da greift die Antithese: es wurde mehr geraucht.
Vielleicht sucht man Erklärungsansätze, welche die eigenen Mitglieder hören wollen. Schlüssig ist das Ganze nicht.
Man sollte drei Faktoren betrachten, wenn man sich den Rückgang erklärlich machen will.
Ein Boom, der endet
Die Branche hat einen Boom erlebt.
Waren in den ersten Jahren eingefleischte Dampferinnen und Dampfer die Kernkundschaft, zeigten Befragungen später, dass überraschend viele Menschen so genannte Dual User sind. Sie rauchen und nutzen die E-Zigarette anlassbezogen.
Diese Nutzer haben naturgemäß weniger Probleme damit, sich eine Schachtel Zigaretten anstatt eines Fläschchens Liquid zu kaufen.
Doch genau diese Konsumenten scheinen den Boom befördert zu haben. Vape Shops sprossen aus dem Boden, in jedem Kiosk waren die Displays von Liquidherstellern zu finden. Doch wie das mit Booms nun einmal so ist: sie enden. Zuwächse stagnieren bestenfalls, falls es sie überhaupt noch gibt.
Genau als diese Blase der häufig jugendaffin beworbenen Halbfertigprodukte (Shake & Vape) so richtig ans Laufen kam, schlug das Werbeverbot zu. Die meist über Influencer erzeugte Nachfrage nach ständig neuen Aromen konnte nicht mehr erzeugt werden. Viele dieser VapeTuber und Instagrammer sind inzwischen verschwunden oder beschäftigen sich mit anderen Produkten.
Immerhin machten laut Faktenreport des VdeH eben diese „Aromen-Mischungen“ 41 Prozent des Umsatzes aus. Liquids insgesamt gar über 67 Prozent.
Dieser Bedarf wurde zu großen Teilen durch immer neue Produkte künstlich erzeugt. Fachhändler mussten sich den jeweils neusten Hype ins Regal stellen, selbst wenn er nach einigen Monaten schon wieder vergessen war.
Die technische Entwicklung
Die Entwicklung der Geräte wird ihren Teil beitragen.
Kaufte sich 2014 jemand ein „Umsteiger Produkt“, stieg er danach meist auf ein größeres, offenes System um. Dafür brauchte er dann einen neuen Akkuträger, einen Verdampfer, Akkus, Ladegerät und so weiter. Üblicherweise verbrauchten diese Geräte auch weit mehr Liquids. Schnell war er einige hundert Euro los.
Ein Raucher, der heute Umsteigen möchte, braucht ein Pod System. Das inzwischen unter zwanzig Euro zu haben ist. Mit ein paar Liquids und einigen Ersatz Pods oder Coils ist er lange bedient.
Zudem unterscheiden die Produkte sich nicht mehr so gravierend, wie es vor fünf Jahren noch der Fall war. Der Anreiz fällt schlicht weg, sich etwas Neues zuzulegen. Eine Marktentwicklung die derzeit auch bei Handys zu beobachten ist.
Laut VdeH machen die „offenen Systeme“ zwar 30 Prozent des Umsatzes aus. Doch anhand der Unterscheidungen lässt sich erahnen: Damit sind alle nachfüllbaren Geräte gemeint.
Es wäre interessanter zu sehen, wie die wirklich offenen, also untereinander kombinierbaren, Systeme aus Akkuträger und Verdampfer derzeit stehen. Denn das waren die beherrschenden Produkte, bis die Pod-Systeme mit Caliburn und Co ein Revival erlebten.
Kurzfristigkeit als Programm
Tatsächlich geht der VdeH von einem erneuten Anstiegt des Umsatzes in diesem Jahr aus. Da die Konsumentinnen und Konsumenten sich vor der kommenden Liquidsteuer noch einmal richtig eindecken werden.
Das schmeckt etwas danach, als würde man einem Sterbenden die Menüfolge auf seiner Beerdigung schmackhaft machen.
Der Konsum ist eine feste Größe. Nicht statisch, aber absehbar. Er wächst nicht unendlich.
Jede Flasche, die vor Juli verkauft wird, wird danach nicht mehr verkauft werden. Schon Oma wusste: Wer im Herbst einkocht, muss im Winter keine Rüben klauen.
In diesem Jahr wird zum Tragen kommen, was in den vergangenen Jahren durch die Branche verpasst wurde: Raucher zu adressieren und zu bewegen. Das haben immer andere getan, die es nun kaum noch gibt.
Joey Hoffmann
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