Erneut wird ein Fall von angeblichen Folgeschäden durch die E-Zigarette durch die englischsprachigen Medien getrieben. Diesmal soll sie gar zu Lähmungserscheinungen geführt haben.
Es ist ermüdend. Alle paar Wochen wird der Fall eines jungen Menschen durch die Medien getrieben, der irgendwelche angeblichen Folgen der E-Zigarette zu erdulden hat. Es fällt schwer, noch seriös darüber zu berichten.
Umso schwerer fällt es, wenn die „Berichterstattung“ immer neue Blüten treibt und immer phantasievoller wird. Und sich dabei immer weiter von jedem Menschenverstand verabschiedet.
Erst vor zehn Tagen war der Fall der 18-jährigen Juliet Roberts durch die Boulevardblätter getrieben worden. Die sich durch die E-Zigarette vermeintlich eine Pneumonie zugezogen hatte.
Nun ist es die 20-jährige Vanessa von Schwarz, angeblich Studentin an einer Filmhochschule und „Modell“. Und Tochter eines Forschers. Sie hat mit 15 begonnen zu dampfen und dann gleich mehrere Vorfälle erlitten, bis sie nun an einer Autoimmunkrankheit erkrankt ist.
Seit gestern schwappt die Berichterstattung auch in den deutschsprachigen Raum.
Zunächst hat der Focus die Story von der britischen Sun abgeschrieben. Dann hat auch PraxisVita, eine der üblichen halbseidenen Gesundheits-Seiten, das unter dem Anschein von Seriosität aufbereitet. Tag24 ist auch dabei, heute werden sicher noch einige folgen. Die Frage ist nur, ob die Bild noch einsteigt.
Morgens ohnmächtig geworden
Erneut gehen die Berichte ausschließlich auf Äußerungen der Betroffenen zurück. Der „Bericht“ besteht fast nur aus wörtlichen Zitaten, die in allen Medien identisch wiedergegeben werden. Es wurde kein Mediziner oder Wissenschaftler zu dem konkreten Fall befragt.
Neben den üblichen Geschichten des heimlichen Dampfens auf der High School Toilette unter Gruppenzwang wird Vanessa, oder wer auch immer als Quelle dahintersteht, auch konkret.
Eines morgens sei sie aufgestanden, hätte sofort an der E-Zigarette gezogen und sei ohnmächtig geworden. Es liegt mir fern Ferndiagnosen aufzustellen, aber bei einer untergewichtigen Adoleszenten, die nach eigenen Angaben nie gefrühstückt oder zu Mittag gegessen hat, liegt da ein kardiovaskuläres Problem deutlich näher.
Denn auch das findet sich in allen solchen Berichten wieder: Akute Vorkommnisse werden auf den langen Gebrauch von E-Zigaretten zurückgeführt. Doch erwachen auch jahrelange Skifahrer nicht plötzlich mit einem Beinbruch.
Symptomen deuten in eine ganz andere Richtung
Das soll bereits 2017 geschehen sein. Danach habe das Modell nach jedem Zug aus einer E-Zigarette Schwäche in den Knien gespürt, Taubheit in den Fingern und Zehen und eine Erhöhung des Herzschlags. Der übrigens tatsächlich eine akute Folge des Nikotins sein kann, aber nach einigen Minuten bereits wieder abklingt. Nikotin hat eine sehr geringe Halbwertzeit im Körper. Den gleichen Effekt hat auch Joggen.
Nach einem weiteren Unfall, bei dem sie sich eine Wunde am Kopf zuzog, musste sie stationär in ein Krankenhaus aufgenommen werden. Wo sie nach eigener Aussage rehydriert wurde… Sie hatte also zu wenig Flüssigkeit im Körper.
Im späteren Verlauf berichtet sie von „Panik-Attacken durch das Nikotin“. Was eine medizinische Sensation wäre.
Jeder seriöse Mediziner würde sich bei einer solchen Anamnese mit seiner Patientin über Ernährungsgewohnheiten unterhalten, jeder Psychotherapeut über Anorexie.
Mal ganz abgesehen davon, dass es selbst für einen schwerstabhängigen Raucher absurd erscheint, mit tauben Fingern erneut zu einer Zigarette zu greifen, ohne einen Arzt zu konsultieren.
Als Vanessa von Schwarz dann einen Job als Stylistin angenommen hatte – in einem Video spricht sie von einem „Verkaufs-Job“ -, wurden die Symptome sogar noch schlimmer. Sie hatte starke Schmerzen in den Gliedmaßen, litt an Übelkeit und an einer so starken Migräne, dass sie sich keinen Fuchsschwanz binden konnte.
Interessanterweise ist sie auf ihrem Instagram Profil auch auf privaten Fotos mit einer Tabakzigarette zu sehen. Einer so genannten „Slim“, einer typischen „Frauenzigarette“. Im November 2018, also genau in dem Zeitraum, indem die E-Zigarette angeblich ihre Gesundheit ruiniert hat.
Sie selber spricht übrigens auch wiederholt ausdrücklich von der Juul, dem Modeprodukt, dass es gar nicht mehr am europäischen Markt gibt.
Autoimmunkrankheit durchs Dampfen?
Laut Aussage der Sun leidet Vanessa von Schwarz nun auch an Dermatomyositis (Wagner-Unverricht-Syndrom, „Lilakrankheit“).
Das ist jedoch eine Autoimmunkrankheit. Die eigentliche Ursache der Dermatomyositis bei jungen Menschen ist unbekannt. Aber man geht von einer Autoimmunerkrankung aus. Die Therapie mit Immunsupression ist erfolgreich, also mit der medikamentösen Unterdrückung des eigenen Immunsystems.
Häufige Symptome ist übrigens Muskelschmerzen und Muskelschwäche. Genau das, was das angehende „Modell“ treffend beschreibt.
Dermatomyositis tritt auch bei Hunden auf, vor allem Collies. Und da Collies überraschend selten E-Zigaretten konsumieren, geht man von einem auslösenden Virus aus.
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Erfolgloses Modell, verkaufsbewusster Vater
Mit ein wenig Recherche findet man noch andere Dinge heraus, welche die ganze Story in einem anderen Licht erscheinen lassen.
Zum ersten scheint Vanessa von Schwarz tatsächlich bei einer Agentur unter Vertrag zu stehen: MCM Management. Zum zweiten sind – wie bereits im Fall der erwähnten Juliet Roberts – alle veröffentlichten, privaten Fotos und Videos von Vanessa Schwatz mit einem Copyright-Hinweis versehen. Die Rechte hält South West News Service in Großbritannien. Obwohl Vanessa aus Los Angeles in den USA stammt.
Das ist ein sehr deutliches Zeichen, dass hier gezielt eine Story vermarktet wird.
Zum dritten wird auf Fotos und im Text immer wieder ihr Vater Ernst von Schwarz eingebracht, ein forschend tätiger Kardiologe in Los Angeles. Er halte die E-Zigarette für die naheliegendste („most likely“) Ursache der Probleme seiner Tochter. Jedoch nur als indirektes, nie als direktes Zitat.
Zudem habe der Kardiologe einen Bericht („Report“) über den Fall seiner Tochter geschrieben. Der ist aber nirgendwo zu finden. Auch nicht auf seiner eigenen Seite, auf der er sorgsam alle Studien und sogar Fernsehauftritte veröffentlicht.
Tatsächlich versucht Dr. von Schwarz derzeit eine Stammzellentherapie zu vermarkten… gegen erektile Dysfunktion. Selbst auf der Instagram-Seite seiner Tochter. Richtig gelesen: Ein 20-jähriges „Modell“ macht im Kopf ihrer Seite Werbung für die Stammzellentherapie ihres Vaters gegen Impotenz.
Zufälligerweise ist Ernst von Schwarz Mitglied in der Heart Association, einem der größten und wirkmächtigsten Gegner der E-Zigarette.
Eigennützige Erklärungsversuche zum Preis der Desinformation
Es steht mir nicht zu, über den Gesundheitszustand von Vanessa von Schwarz zu urteilen.
Doch in dem, was Medien gerne als „psychologisches Profiling“ bezeichnen, kommt einiges zusammen: Aufgewachsen als Tochter eines erfolgsorientierten und gut verdienenden Arztes, High School in Los Angeles, angestrebte Modell-Karriere, kein Frühstück und kein Mittagessen, Hungervermeidung durch Nikotin, zu wenig Flüssigkeit, das beschriebene Gefühl der Kontrolle… Man kann sich seinen Teil denken. Der Konsum von Nikotin durch E-Zigaretten und Tabakzigaretten kommt nur obenauf.
Hinzu kommen die offensichtlichen Faktoren: Modelagentur, Verkauf der Story an eine Nachrichtenagentur, eine wissenschaftliche Arbeit, die nicht auffindbar ist.
Laienhafte Erklärungsversuche zum Selbstschutz, mit denen sich sogar noch Geld machen lässt.
Für mich ergibt sich das Bild einer jungen, sich selbst schädigenden Frau, die ohne Kompetenz aus Eigennutz der Aufmerksamkeit eine eigennützige Geschichte spinnt und von dankbaren Medien instrumentalisiert wird. Entrückt in eine Parallelwelt aus Gefallsucht und Mode.
Doch was das alles schlägt ist eigentlich, dass eine scheinbar durch Ärzte diagnostizierte Krankheit klar benannt wird. Die nichts mit der E-Zigarette zu tun haben kann. Trotzdem wird sie als Ursache in der Überschrift benannt. Ohne jeglichen Zusammenhang, abgesehen von den Worten der Betroffenen: einem 20-jährigen, wohl nicht sehr erfolgreichen Modell.
Mehr Clickbait geht eigentlich kaum.
Auf Kosten einer wissenschaftlich nachgewiesenen weit weniger schädlichen Alternative, die vielen Raucherinnen und Rauchern das Leben retten kann. Und die nur Überschriften lesen.
Joey Hoffmann
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