Derzeit werden immer mehr geschmuggelte E-Zigaretten gefunden. Doch warum explodiert der Schwarzmarkt?
Ein Erklärungsversuch.
Immer häufiger werden geschmuggelte E-Zigaretten gefunden. Meist bei Kontrollen auf der Autobahn (hier…) oder in Verkaufsstellen wie Shisha Bars oder Kiosken (hier…).
Innerhalb der tradierten Dampferszene und -branche wird häufig die Steuer als Grund genannt. Doch das halte ich schlicht für falsch.
Bei den geschmuggelten Produkten handelt es sich um Einweg-E-Zigaretten, die so genannten Disposables. Die mit Abstand bekannteste Marke ist Elf Bar. Und der Markt explodiert.
Laut den aktuellen Zahlen des Händlerverbandes BfTG beläuft sich der Markt derzeit auf 575 Millionen Euro. In den vergangenen Jahren ist er stark gesunken, zu diesem Jahr aber um 40 Prozent angestiegen.
Tatsächlich ist der „alte“ Markt stagnierte, die „neuen“ Disposables haben den Zuwachs draufgelegt.
Das sind nur die Zahlen innerhalb der tradierten Branche. Wo die Umsätze hauptsächlich über Online Shops oder Fachgeschäfte stattfindet. Disposables werden aber vor allem in Tankstellen, Kiosken und Shisha Bars angeboten. Dort dürften die Umsätze um ein Vielfaches höher liegen.
Mein Name ist Hase
Nun ergeben sich Schwierigkeiten dabei, den Markt verlässlich einschätzen zu können.
Denn niemand ist bereit, konkrete Zahlen zu den Disposables zu nennen. Weder zu Gewinnspanne, noch zu Preisen oder Umsatzzahlen.
Die Elf Bar wird von Heaven Gifts hergestellt. Dieses chinesische Unternehmen hat eigentlich als Distributor bzw. Großhändler angefangen. Sie haben immer weiter expandiert, besitzen Niederlassungen in Shanghai und Shenzhen und inzwischen auch einem GmbH in Deutschland.
Heaven Gifts ist inzwischen so erfolgreich, dass es die Mindestabnahme so hochgelegt hat, dass kaum ein Großhändler und erst Recht kein Einzelhändler dort direkt kaufen kann. Um einen Händler zu zitieren: „Unter eine Million legen die direkt auf.“
Das bedeutet, dass der Großhandel in den Händen von Händlern ist, die wiederum auf andere Großhändler bzw. Importeure verteilen. Die untereinander in Konkurrenz stehen. Und die sind im deutschsprachigen Raum wenige. Deshalb schweigt man sich lieber aus.
Durch eine Quelle habe ich allerdings erfahren, dass ein Einzelhändler in Deutschland derzeit je nach Abnahmemenge etwa zwischen 3,90 und 4,10 Euro pro Stück zahlen müsste. Mit Steuerbanderole.
Kein Produktschutz
Das nächste Problem ist, dass es in China nicht das Prinzip des Produktschutzes gibt. Jeder kann ein Produkt nachbauen und es verkaufen. Illegal wird der Handel dann erst in Deutschland, wo solche Plagiate nicht marktfähig, also verboten sind.
Das ist kein spezifisches Problem der E-Zigarette. Zu meiner Zeit bei der Messe habe ich mehrfach den Zoll begleitet, der Messestände chinesischer Anbieter geschlossen hat. Weil diese ganz offen Plagiate angeboten haben. Das galt für elektronische Werkzeuge bis Gabelstapler.
Und da liegt der eigentliche Kern des Problems: Man kann mit wenig Aufwand solche Plagiate legal in China kaufen, importieren und hier als vermeintlich reguläre Produkte dem Einzelhandel anbieten. Das Risiko ist verhältnismäßig gering.
Flugzeug oder Schiff?
Eine kurze Recherche reichte: Schnell habe ich ein Angebot gefunden, das Elf Bar für 1,50 Euro anbietet. Bei einer Abnahme von nur 2000 Stück.
Mir wurde bei der Recherche versichert, dass es sich dabei nur um Fälschungen handeln kann. Der Großhandelspreis der echten Elf Bar liegt deutlich darüber.
Nehmen wir also an, ich würde bei einem solchen Händler 50.000 Stück kaufen. Ich könnte ihn sicher noch auf 1,20 pro Stück drücken. Damit hätte ich einmalig 60.000 Euro investiert.
Nun muss ich mein Paket nur noch nach Europa bekommen.
Per Flugzeug geht es schneller, doch dort sind die Kontrollen auch intensiver. Warte ich etwas und wähle das Schiff, ist das Risiko geringer.
Ich habe einen alten Kumpel und Kameraden gefragt, der nach seiner Dienstzeit zum Zoll gegangen ist und inzwischen in der Logistik arbeitet: Die Preise in der Branche sind eingebrochen. Die Verschiffung eines solchen Paketes würde etwa 300 bis 400 Euro kosten. Bei einem Volumen von 60.000 Euro fällt das also gar nicht mehr ins Gewicht.
Die gefakten Disposables würden dann von Shenzhen nach Antwerpen oder Rotterdam in den Niederlanden verschifft. Das sind auch die größten Häfen in Europa.
Dort würde ich mein Paket abholen lassen. Dafür muss ich kein Logistik-Unternehmen bemühen. Ich leihe einen Transporter und finde einen Fahrer, der sich Zweifuffzich und eine Currywurst verdienen will. Vielleicht schicke ich auch mehrere Fahrer, die meine Ware auf mehrere Privatfahrzeuge verteilt. Das minimiert das Risiko noch weiter.
Würde ich mich für das Flugzeug entscheiden, was preislich dreistellig ebenfalls wenig ins Gewicht fallen würde, würde ich die Fracht nach London schicken. Zwar ist Frankfurt das Drehkreuz für Luftfracht, auf Platz zwei liegt Leipzig. Aber London ist das Einfallstor für Produkt-Schmuggel. Die EU schätzte vor dem Brexit die Steuerverluste durch Produktpiraterie über London auf mehrere Milliarden.
Wenn ich ganz pfiffig bin, schicke ich mein Paket von da nochmal nach Osteuropa. Dort sind die Kontrollen nicht nur geringer. Sie sind dann verschwindend gering, weil das Paket dann ja bereits aus Europa kommt.
Noch pfiffiger wäre es, das Paket vor Ort in den Niederlanden, London, Ungarn oder der Tschechei umzuetikettieren. Das würde das Risiko noch weiter senken.
Vielleicht kann ich auch den chinesischen Händler überzeugen, die Angaben auf dem Paket gleich zu frisieren.
Organisierte Kriminalität und Dummheit
Selbstverständlich möchte ich keine wirkliche Anleitung zum Schmuggeln geben. Ich möchte einen Eindruck vermitteln. Die Möglichkeiten sind vielfältig und ich habe nur einige Stichpunkte genannt.
Es handelt sich nicht um Drogen. Sondern um ordentlich verpackte Waren aus China. Die erst unter bestimmten Umständen in Europa illegal werden.
Das eigentliche Risiko aufzufliegen entsteht erst beim Transport nach Deutschland.
Nun muss ich meine E-Zigaretten nur noch in Deutschland verkaufen. Dabei spielen mir zwei weitere Faktoren in die Hände.
Zum einen ist bekannt, dass viele Shisha Bars Verbindungen zum organisierten Verbrechen haben. Was nicht heißt, dass jede Shisha Bar der Mafia gehört. Aber es gibt häufig eine gewisse Nähe. Die Hemmschwelle wird dort niedriger sein, auch mal Produkte aus dubioser Quelle unter den Ladentisch zu stellen.
Zum zweiten wissen viele Kiosk-Betreiber gar nicht, was sie da verkaufen. Das zeigt sich immer wieder auch an der Werbung, die diese Einzelhändler verbotenerweise auf Social Media posten.
Größere Gewinnspanne als bei Heroin
Kehren wir also zurück zur Milchmädchenrechnung.
Wenn ich dem Einzelhändler diese nachgemachten Elf Bar für 3,- Euro pro Stück anbiete, hat er einen deutlichen Vorteil. Denn die Elf Bar werden derzeit überall für etwa 6,90 Euro angeboten.
Mein Angebot liegt damit deutlich unter der gesetzestreuen Konkurrenz. Geld, das der Einzelhändler sich einstecken kann.
Ich könnte so 150.000 Euro generieren. Und hätte meine Investition von 60.000 Euro mehr als verdoppelt. Tatsächlich ist das ein Gewinn von 250 Prozent.
Das ist mehr, als ich als Zwischenhändler mit Heroin machen könnte.
Richtig gelesen: Man kann mit dem Schmuggeln von E-Zigaretten mehr Geld machen, als mit dem Schmuggeln von Drogen.
Reinvestiere ich alles, habe ich nach nur vier Touren 2,3 Millionen Euro gemacht.
Die Gefahr erwischt zu werden ist geringer. Und da es keine verbotenen Substanzen sind, ist es eher der Wirtschaftskriminalität zuzuordnen. Selbst wenn ich erwischt werde, habe ich gute Chancen mit einer Bewährungsstrafe davon zu kommen.
Den Grund für den Schmuggel nun in der neuen Tabaksteuer zu sehen, ist also nicht schlüssig. Dann würden nicht Disposables geschmuggelt, sondern Base.
Auf eine Elf Bar entfallen derzeit 32 Cent Tabaksteuer. Die vom Großhändler an den Einzelhändler und an den Dampfer weitergegeben werden. Dafür fängt keiner an zu schmuggeln.
Als der Zoll die Befürchtungen wegen des Schmuggels von E-Zigaretten geäußert hat, ging es um die traditionellen E-Zigaretten. Und vor allem Liquids und Basen.
Die Disposables hatte er dabei offenbar noch gar nicht auf dem Schirm.
Joey Hoffmann
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