Immer wieder taucht in Gruppen und Foren die Frage nach der Reduzierung des Nikotins auf.
Dazu sollte man sich einiges vielleicht einmal ehrlich bewusst machen.
Gestern tauchte in der Facebook Gruppe von vapers.guru eine Frage nach dem Ausschleichen von Nikotin auf.
Da wir nicht immer und alles beantworten können ist die Gruppe vor allem peer-to-peer: Dampfer helfen Dampfern. Wir moderieren nur.
Aber hin und wieder tauchen Fragen auf, die für viele Menschen interessant sind und eigentlich auch einer längeren Antwort bedürfen.
Hinzu kommt, dass viele Fragen sehr grundsätzliche Missverständnisse zum Dampfen oder zum Nikotin bzw. zur Abhängigkeit ansprechen.
Diese Fragen tauchen immer wieder in allen Gruppen und Foren auf. Denn sie stellen sich vielen Dampfern im Laufe ihrer Dampfkarriere.
Deshalb möchte ich diese gestrige Frage wieder mal aufgreifen und versuchen in einem Artikel zu beantworten.
Ich will auf Nikotin verzichten und es klappt nicht
„Nabend ihr lieben. Ich hab mal ne frage. Ich dampfe jetzt schon ziemlich lang. Hab mit mtl angefangen und bin dann zum sub Ohm verführt worden wo ich hängen geblieben bin. Hab den Nikotin Gehalt dann sukzessive reduziert. War vor kurzem noch bei 3 mg und bin nun bei vielleicht 1mg auf 120 ml. Manche liquids dampfe ich auch mit 0. ich merk aber zunehmend das mir anscheinend was fehlt… ist das normal? Will eigentlich langläufig komplett auf 0. ist das nur ne kopf Sache so wie der Umstieg vom sargnagel auf dampfe oder spielt der Körper da doch ne Rolle?“
In Dampferkreisen wird häufig selbstwertdienlich der Eindruck vermittelt Nikotin sei völlig egal.
Das wird dann unterstützt durch das häufig plakativ erklärte „Nikotin macht nicht süchtig!“.
Doch das wird leider oft falsch verstanden.
Nikotin ist einer der entscheidenden Faktoren, der zur Tabakabhängigkeit führt.
Aber das ist nicht so einfach wie beim Heroin. Man spritzt es sich und dann ist man „drauf“.
Nikotin ist eine Stimulans, es wirkt anregend. Nimmt man Nikotin zu sich, werden Botenstoffe im Hirn ausgeschüttet (Dopamin, Serotonin, Noradrenalin, etc.).
Das passiert aber implizit, unbewusst und in der Wahrnehmung indirekt. Es ist nicht wie beim Kiffen, dass man nach einer Zigarette einen Lachflash bekommt und gut drauf ist. Oder nach dem zehnten Bier meint, man sei jetzt bereit während einer Massenprügelei den Nobelpreis entgegenzunehmen und die Weltherrschaft zu übernehmen.
Aber das Hirn bemerkt, dass es ihm gut geht, wenn es Nikotin bekommt. Das ist die Voraussetzung für die Entwicklung einer Abhängigkeit. Dafür ist es vollkommen egal, ob wir bewusst eine Wesensänderung wahrnehmen oder eher nicht.
Viele andere Faktoren spielen dabei eine Rolle.
Beispielsweise sind im Tabak so genannte Monoaminooxidase-Hemmer (MAO-Hemmer) enthalten. Diese führen dazu, dass das Nikotin nachhaltiger wirkt. Denn der Abbau der erwähnten Neurotransmitter, der Glücklichmacher, wird durch sie gehemmt.
Hinzu kommt eine Verhaltensabhängigkeit. Jemand der jeden Morgen eine Zigarette zum Kaffee raucht wird feststellen, dass ihm das schon nach einigen Wochen fehlt.
Nikotin wirkt. Ob wir wollen oder nicht, ob wir es direkt merken oder nicht.
Erlerntes Verhalten
Die Aussage, dass Nikotin nicht abhängig macht, ist wissenschaftlich dennoch vertretbar. Aber sie ist verfälschend verkürzt.
In Tierversuchen mit Nikotin konnte keine Suchtwirkung nachgewiesen werden.
Das bedeutet, dass es den Ratten egal war, ob sie Nikotin zu sich genommen haben oder nicht. Entscheidend ist, dass die Ratten vorher nicht geraucht haben. Der Wissenschaftler spricht hier von „nikotin-naiv“.
Die allermeisten Dampfer haben zuvor aber Jahre, meist Jahrzehnte, geraucht. Ihr Hirn hat gelernt, wenn sie sich eine Zigarette anzünden kommt gleich Nikotin. Wie der Pawlowsche Hund fängt es vorher schon an zu sabbern und schüttet schon mal ein paar Glücklichmacher aus.
Das ist erlerntes Verhalten. Und das Gleiche passiert, wenn wir zur Dampfe greifen.
Korrekterweise müsste die Aussage also lauten: Es gibt keinen Nachweis, dass Nikotin in Abwesenheit von Tabak bei Nikotinnaiven eine Sucht hervorruft.
Aber, und das muss man auch so klar sagen, jemand der zuvor zwanzig Jahre geraucht hat und dann auf das Dampfen umsteigt hat da trotzdem eine Abhängigkeit.
Ritualisiertes Verhalten entkoppeln
Diese Abhängigkeit sieht aber meist anders aus. Denn die Abhängigkeit nach Zigaretten führt zu einem anderen Suchtverhalten als bei einem Dampfer.
Jeder ehemalige Raucher kennt das: Wenn er längere Zeit nicht Rauchen kann wird er nervös.
Mehr noch, er wird bereits nervös, wenn er nur weiß, dass er länger nicht wird rauchen können. Beispielsweise vor einem Flug, einer längeren Zugfahrt oder beim Betreten eines Kinos. Lange bevor er einen niedrigen Nikotinpegel hat und unter normalen Umständen rauchen müsste.
Das sind die Anzeichen der Verhaltensabhängigkeit.
Eine große Rolle spielt dafür das ritualisierte Verhalten.
Eine Zigarette nach dem Aufstehen, eine Zigarette vorm zu Bett gehen, eine Zigarette nach dem Sex, eine Zigarette wenn man ins Auto eingestiegen ist.
Das Hirn weiß das. Es kennt diese Rituale und erwartet, dass es seine Belohnung bekommt. Ein Hund wird auch schön doof gucken, wenn er Männchen macht und dann nicht wie zuvor immer ein Leckerchen bekommt.
Beim Dampfen wird dieses ritualisierte Verhalten entkoppelt.
Dafür sind meiner Meinung nach zwei Aspekte verantwortlich.
Zum ersten ist die Dampfe nicht portioniert. Man dampft nicht wie bei einer Zigarette zehn Züge und macht sie aus. Man kann hier und da auch zweimal an ihr ziehen und sie dann wieder wegstecken.
Das ist zu vergleichen mit einer Praline und einem unbegrenzten Vorrat an Schokolade.
Kann ich Schokolade essen wann immer ich will, hängt sie mir irgendwann zum Hals heraus. Vielleicht beiße ich nochmal davon ab, oder lasse es einfach bleiben. Es verliert seinen Reiz.
Nehme ich aber Pralinen, lernt mein Hirn dass es mit Pralinen belohnt wird. Und ich werde sehr schnell anfangen diese Belohnung zu ritualisieren. Eine Praline nach dem Aufstehen, eine Praline vorm zu Bett gehen, eine Praline nach dem Sex…
Dieses Belohnungssystem ist ganz tief in unserer Psyche verankert.
Der zweite Aspekt der Entkopplung ist die automatische Reduzierung des Nikotins.
Selbst eine starken Dampfe mit der erlaubten Höchstmenge 20mg Nikotin liefert bei M2L Dampfen, also dem direkten Vergleich zum Rauchen, nur so viel Nikotin wie eine sehr sehr leichten Zigarette.
Beim Umstieg auf die Dampfe „verarschen“ wir unser Hirn nur. Indem wir anfangs die Rituale beibehalten. Wir haben etwas in der Hand, können „Raucherpausen“ machen, nuckeln an irgendwas herum, haben eine Throat Hit, alles ist wie beim Rauchen. Unser Hirn akzeptiert, dass wir ihm viel weniger Nikotin geben.
Hinzu kommt das, was man auch als „Selbsttitration“ bezeichnet. Man nimmt immer genau so viel Nikotin zu sich wie man braucht.
Der Umsteiger überlistet sein Hirn nur durch das Ritual, und das Hirn ist dann recht schnell mit der geringeren Menge Nikotin zufrieden.
Beim Rauchen einer Zigarette nehmen wir aber häufig viel mehr Nikotin zu uns als wir überhaupt bräuchten. Jeder Raucher kennt es, wenn ihm nach zu viel Zigaretten oder einer zu starken Zigarette plötzlich schwindelig wird.
Diese Selbsttitration führt auch dazu, und das wurde inzwischen wissenschaftlich bestätigt, dass die Reduktion des Nikotins – über die automatische Reduktion durch den Umstieg hinaus – wenig Sinn macht.
Jemand der rabiat den Nikotingehalt reduziert, weil er meint sich damit etwas Gutes zu tun, der wird einfach nur mehr Dampfen. Entweder er wird zum Dauernuckler, oder er wird versuchen immer größere Dampfmengen zu inhalieren.
Irgendwas ist da noch
Wenn man Jahrzehnte lang geraucht hat sind immer noch Überreste dieser Abhängigkeit im Hirn verankert. Da sollten wir uns nichts vor machen.
Dem widerspricht auch nicht, dass man auch mal seine Dampfe zu Hause vergisst oder plötzlich kein Problem mehr hat mehrere Stunden nicht zu dampfen.
Das Suchtverhalten ist einfach entkoppelt. Diese unheilige Verbindung von Ritual und Nikotin.
Das Verlangen ist weniger. Trotzdem will unser Hirn aber doch bitteschön Nikotin haben, wenn wir etwas inhalieren.
Und deshalb ist es auch vollkommen verständlich, dass es Dampfern dann plötzlich schwer fällt, wenn sie auf 0mg Nikotin reduzieren wollen. Selbst wenn sie es gar nicht so genau fest machen können, was da jetzt fehlt. Es ist wie eine leckere Suppe, aber ohne Salz.
Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: Es ist mindestens so schwierig auf 0mg zu kommen, wie von Zigaretten auf die Dampfe umzusteigen.
Allerdings ist es sehr viel leichter, denn als Raucher einen kalten Entzug zu machen.
Doch aus Perspektive der Suchtberatung müsste man konsequenterweise empfehlen, jemand der komplett auf Nikotin verzichten will sollte auch auf das Dampfen verzichten. Denn jedes mal wenn er zur Dampfe greift wird dieser kleine, fiese Mechanismus im Hirn anspringen und schreien „Ich will jetzt mein Nikotin“.
Wozu überhaupt reduzieren?
Das erklärt auch, warum viele Leute dazu raten mit möglichst viel Nikotin umzusteigen. Selbst wenn man später reduzieren oder ganz aufhören will.
Erst muss das Suchtverhalten entkoppelt werden. Die Pralinen müssen weg, das Belohnungssystem muss von der Zigarette entwöhnt werden. Danach kann man immer noch schauen. Und danach fällt es auch weit leichter als direkt von der Zigarette aus aufzuhören.
Das Belohnungssystem, das ritualisierte Verhalten ist es, was die Zigarettensucht aufrechterhält.
Jeder Raucher macht in jeder Nacht einen Entzug durch. Nach acht Stunden Schlaf befindet sich keine signifikante Menge Nikotin mehr im Körper, der Raucher ist clean. Sich morgens wieder eine Zigarette anzuzünden ist eine Entscheidung der Verhaltensabhängigkeit, nicht der substanzabhängigen Nikotinsucht.
Aber man sollte sich diese Mechanismen auch beim Dampfen ehrlich eingestehen und bewusst machen.
Die psychische und die körperliche Abhängigkeit gehen Hand in Hand.
Durch Nikotin alleine sind keine nachhaltigen Gesundheitsschäden zu erwarten.
Die so genannte „Vertsteifung“ der Arterien ist ein gewünschter Effekt und lässt nach einigen Minuten bereits wieder nach. Nikotin ist nicht krebserregen.
Das einzige ist, dass Nikotin durch die Manipulation der Durchblutung bereits existierende Krebsgeschwüre offenbar schneller wachsen lässt. Und in der Schwangerschaft sollte man darauf verzichten.
Aber für einen ansonsten gesunden Menschen gibt es neben einer angestrebten psychischen Unabhängigkeit eigentlich keinen Grund das Nikotin beim Dampfen abzusetzen.
Ich möchte beim besten Willen keine Werbung für Nikotin machen. Wenn jemand damit aufhören will ist das nicht zu kritisieren, sondern zu unterstützen. Denn eine Abhängigkeit ist auch immer ein Stück Unfreiheit.
Doch man sollte auch deutlich hinterfragen, warum jemand mit dem Nikotin aufhören will.
Macht man sich das bewusst, klappt der Ausstieg auch leichter.
Die vapers.guru Gruppe auf Facebook: https://www.facebook.com/groups/vapers.guruSekte/
Joey Hoffmann
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