In der vergangenen Woche veröffentlichte der Deutschlandfunk Kultur einen Kommentar von Kerstin Hensel „Warum die Überheblichkeit mancher Intellektueller nervt“. Darin erläuterte sie, dass die Arroganz von Akademikern unangebracht ist. Weil sie fälschlich davon ausgehen würden, dass jeder so gerne nachdenkt wie sie.
Das ist völlig akzeptabel. Die Frage, die mich umtreibt, ist aber eine andere: Kann man nicht von Menschen erwarten, dass sie wenigstens mal ansatzweise über etwas nachdenken, bevor sie ihre Meinung in ihr verschissenes Handy hacken und öffentlich machen?
Mehr verlange ich doch gar nicht. Nur diesen Moment des Innehaltens, der Introspektion und des Abwägens.
Gestern Abend habe ich ein dahingeschludertes Posting auf der Facebook Fanpage veröffentlicht. Und bevor ich mich versehen konnte, gab es wilde Diskussionen.
Die Diskussionen kenn ich aus den Kommentarspalten großer Medien. Das Problem ist, dass ich auf der VAPERS.GURU Facebook Fanpage natürlich auch Rede und Antwort stehen möchte. Wenn aber so viele Menschen ganz offensichtlich den Kern des Postings gar nicht verstanden haben, investiere ich auch nicht mehr die Zeit, es jedem zu erklären.
Deshalb lieber eine kurze Montagsphilosophie. Eine kleine Denkschule.
Wohlwissend, dass die meisten derer, die es lesen sollten, es eh nicht lesen werden.
Die Logik des Zeitgeistes
Derzeit entbrennt immer wieder eine Diskussion darüber, ob geimpfte Menschen Vorteile gegenüber ungeimpften Menschen haben sollten.
Das ist bereits aus zwei sehr offensichtlichen Gründen eine absurde Debatte.
Denn zum ersten gibt es auf monatelange Sicht gar nicht genügend Impfstoff, um alle impfen zu können, die geimpft werden wollen. Zum zweiten wäre so etwas ein derart eklatanter Eingriff in die Grundrechte, dass er von keinem Politiker relevant und ernsthaft in Erwägung gezogen wird.
Medien bringen die Diskussion auf, um Klicks zu bekommen. Mehr nicht. Mache ich das Internetz aus, findet die Diskussion nicht statt.
Trotzdem (oder gerade deshalb) fühlen sich vor allem freiheitsliebende Impfgegner und Querdenker getriggert, sofort die Kommentarspalten mit Meinung vollzumüllen.
Dem habe ich einfach nur ein Argument entgegengehalten. Nämlich, dass die Freiheit des einen an der Freiheit des anderen endet.
Jetzt geht das Palaver los, ob es für Ungeimpfte Beschränkungen geben soll. Und sofort kommen die Impfgegner und Querdenker aus dem Gebüsch gesprungen, die etwas von Impfzwang und Diskriminierung schreien.
Inzwischen wird schon ständig das Gleichbehandlungsgesetz angebracht, was offenbar durch irgendeine Querdenkerblase getrieben wurde.Es ist das Recht jedes Menschen, mit anderen Verträge einzugehen. Oder eben nicht.
Man hat keinen Anspruch darauf eine Kneipe zu betreten, ein Konzert zu besuchen, mit einem Flugzeug zu fliegen oder in einem bestimmten Laden einkaufen zu gehen.
Ein Türsteher muss auch nicht begründen, warum er jemanden nicht rein lässt.Offenbar ist es für einige Menschen inzwischen unmöglich geworden einzusehen, wenn sie auf irgendetwas kein Recht haben.
VAPERS.GURU Fanpage, 04.02.2021
Sie wehren sich gegen einen angeblichen Zwang, wollen aber andere zu etwas zwingen. Sie nehmen für sich Freiheiten in Anspruch, die sie anderen nicht zugestehen. Und kommen sich dabei noch vor, wie von den Nazis Verfolgte.
Das ist die Logik des Zeitgeistes.
Offenbar muss ich das erklären.
Mach ich ja gerne, habe ja sonst nichts zu tun.
Grundlagen. Nur kurz.
Will ich etwas von jemandem kaufen, stelle ich eine Anfrage. Der macht mir daraufhin ein Angebot. Das kann ich annehmen, oder nicht. Nehme ich es an, kommt ein Vertrag zustande.
Wir alle schließen ständig Verträge, mehrfach am Tag. Die meisten, die keine kaufmännische Ausbildung hatten, werden es nicht einmal merken.
Denn dieser Ablauf ist im täglichen Leben vereinfacht.
Betrete ich einen Supermarkt, ist diese Handlung bereits die Anfrage. Die Preisauszeichnung an den Regalen ist das Angebot. Lege ich die Ware aufs Kassenband, erkläre ich mich mit dem Angebot einverstanden. Zieht die Kassiererin die Ware über den Scanner, wurde ein Vertrag geschlossen.
Ob Busfahrt oder Mallorca-Reise, Bestellung im Restaurant oder eine Bestellung bei Amazon: Alles sind Kaufverträge und alle laufen nach diesem Schema ab.
Behalten wir das für einen Moment im Hinterkopf.
Der eingebildete Verlust von Freiheiten
Nun merken viele an, es dürfe keine Zwei-Klassen-Gesellschaft von Geimpften und Ungeimpften geben. Denn wer sich nicht impfen lassen wolle, würde dann in seinen Freiheiten beschnitten.
Das erscheint erst einmal zumindest so vernünftig, dass man darüber diskutieren könnte.
Doch an der Argumentation merkt man bereits deutlich, dass es hier um Emotionen geht. Um Gefühle; die Angst vor Fremdbestimmung, um den Verlust von Freiheiten.
Doch man kann keine Freiheiten verlieren, die man gar nicht hat.
Denn wie bereits erwähnt: Eine staatliche Regulierung dieser Art wird es nicht geben können. Solche Regulierungen würden schneller von Gerichten gekippt werden, als jemand „Impfzwang“ schreien könnte.
Was im Übrigen im vergangenen Jahr mehrfach passiert ist. Weil das ein völlig normaler Vorgang in einer Demokratie mit Gewaltenteilung ist. Es werden ständig große und kleine Gesetze und Regulierungen gekippt. Dafür haben wir die Scheiße ja, haben unsere Gründerväter sich schon echt was bei gedacht.
Allgemeine Handlungsfreiheit
Es kann also nur darum gehen, was privat abläuft. Also im Zivilrecht, von Bürger zu Bürger, bzw. von Unternehmen zu Bürger.
Und da gibt es den Begriff der Vertragsfreiheit. Jeder darf mit jedem anderen Verträge schließen.
Um so kleiner die Zahl des Artikels im Grundgesetz, umso wichtiger ist er. Und diese Vertragsfreiheit hat ihre Grundlage gemäß ständiger Rechtsprechung im Artikel 2, es nennt sich dann allgemeine Handlungsfreiheit. Ist also schon ziemlich wichtig. Kommt gleich nach Würde des Menschen, Menschenrechte, Gewaltenteilung und dem Zeug.
Das bedeutet aber nicht, dass jeder mit einem anderen einen Vertrag schließen muss. Sondern nur, dass er es darf.
Und da sind wir dann schlagartig beim Türsteher an der Disco Türe. Er kann entscheiden, wen er als Gast haben will, und wen nicht. Mit wem er einen Vertrag eingeht und mit wem nicht. Das ist sein verbrieftes und indiskutables Recht.
Und wenn er jemanden nicht in seiner Disco haben will, dann muss das noch nicht einmal begründen.
Noch ein Bier für den Besoffenen!
Was bei den Impfgegner, Querdenkern, Regulierungsskeptikern, oder wie auch immer man sie nun nennen will, nun abläuft, ist eigentlich sehr einfach.
Sie haben Angst davor, benachteiligt zu werden. Sie fühlen sich fremdbestimmt und haben Angst davor, gegen ihren Willen zu einer Impfung gezwungen zu werden. „Impfzwang durch die Hintertür“ ist gerade so ein geflügeltes Wort.
Sie beurteilen das aber nur emotional und nur aus ihrer eigenen Perspektive. Sie nehmen nicht die Position des Gegenübers ein und versuchen das mal aus seiner Perspektive zu hinterfragen. Geschweige denn Gegenargumente gegen sich selber zu finden. So wie ein Wissenschaftler das tun sollte, der versuchen muss, seine eigene These zu widerlegen.
Macht man sich das aber mal klar, was eine solche geforderte „Gleichbehandlung“ bedeuten würde, ist das dramatisch. Denn diese Gleichbehandlung gibt es ja eigentlich gar nicht.
Selbstverständlich kann ein Konzertveranstalter hingehen und nur geimpfte Personen in seine Veranstaltung lassen. Denn müsste er jeden rein lassen, würde das auch zwangsläufig bedeuten, dass er besoffene Hools hereinlassen muss.
Selbstverständlich kann eine Friseurin ablehnen, einem Menschen die Haare zu schneiden, wenn er nicht geimpft ist. Denn würde sie dazu gezwungen, würde das auch bedeuten, dass sie jedem ungewaschenen Sack die Haare schneiden müsste.
Selbstverständlich kann ein Wirt entscheiden, ob er ungeimpfte bedienen will. Denn wenn nicht, würde das bedeuten, dass er auch jedem Besoffenen noch ein Bier verkaufen muss, nachdem dieser vor die Theke gekotzt hat.
Die Freiheit des einen endet an der Freiheit des anderen. Man kann nicht aus Angst vor einem Zwang jemand anderen zu etwas zwingen wollen.
Die Handlungsfreiheit des Einzelnen ist es, sich nicht impfen zu lassen. Aber dann muss er auch akzeptieren, dass es die Handlungsfreiheit des Anderen ist, mit ihm keinen Vertrag abzuschließen.
Meine Grundrechte, meine Grundrechte!
Und dann werden die ewig gleichen, ermüdenden Argumente ausgepackt.
Man dürfe ja nicht zum Impfen zwingen.
Das ist total richtig. Aber es interessiert den Türsteher der Disco herzlich wenig, ob der Abgewiesene nun am nächsten Montag zum Impfzentrum fährt.
Das Gleichbehandlungsgesetz verbiete ja die Diskriminierung.
Das ist total richtig und gut so. Aber dabei geht es um ethnische Herkunft oder Religion, sexuelle Identität oder Alter. Und es geht um öffentliche Leistungen wie Beruf oder Bildung, nicht ob man in einem privaten Geschäft einkaufen darf.
Man dürfe ja nicht die Grundrechte einschränken.
Selbstverständlich darf man das nicht. Aber das einzige Grundrecht, das eingeschränkt würde, ist das Grundrecht auf Handlungsfreiheit des Vertragspartners. Der gezwungen werden soll. Ein Kinobesuch, ein Autokauf, ein Pilates Kurs und ein Mango Lassi beim Stamm-Inder im Prenzlauer sind eben keine Grundrechte.
Und das ist das Grundproblem unserer Gesellschaft. Viele Menschen sind viel zu egozentrisch geworden und bilden sich Rechte ein, die sie nicht haben.
Aber so philosophisch wollte ich gar nicht werden. Sonst komme ich erst in Fahrt.
Immer nur die eigene Perspektive
Wer sich jetzt nur einmal kurz die Zeit nimmt darüber nachzudenken, der wird schnell eine vielversprechende Prognose abgeben können.
Denn wie wahrscheinlich ist es, dass Kneipiers Menschen an der Türe abweisen? Wie wahrscheinlich ist es, dass Konzertveranstalter sich dem Shitstorm aussetzen, der gerade bei Eventim auflodert? Wie Wahrscheinlich ist es, dass der Friseur einer Kleinstadt die nach dem Lockdown verzottelten Kunden abweist, weil sie nicht geimpft sind?
Richtig. Unwahrscheinlich.
Eine staatliche, also gesetzliche Regelung, wird nicht durchzusetzen sein. Und eine systematische Ungleichbehandlung durch private Vertragspartner wird es nicht geben können.
Sicher, es wird vielleicht Ausnahmen geben. Aber eben nur sehr begrenzt und nur sehr vielleicht.
Alles was ich kritisiere ist, dass die Menschen nur ihre Perspektive sehen, emotional handeln, kommentieren und ihre Meinung raushauen, ohne mal darüber nachzudenken. Und dass sie ad hoc bereit sind, aufgrund von Egoismus andere zu etwas zu zwingen; und für sich selber eine Freiheit un Anspruch nehmen, die sie anderen nicht zugestehen.
Vielleicht erwarte ich ja auch da zu viel von Menschen. Die Jahre auf Social Media waren eine fortlaufende Erinnerung daran. Aber ich bin nicht bereit den Glauben aufzugeben, dass die allermeisten selber darauf kommen würden, wenn sie nur mal ein paar Minuten sachlich und rational darüber nachdenken würden.
Und das ist alles, was ich kritisiere. Entgegen Kerstin Hensel vom Deutschlandfunk Kultur bin ich nicht bereit mich damit zu begnügen, dass man akzeptieren muss, dass einige Menschen halt zu faul zum Denken sind. Denn das sind für mich die Menschen zweiter Klasse, nicht die Ungeimpften. Auch wenn die Schnittmenge überdurchschnittlich sein dürfte.
Ich kann ja nun mal nicht aus meiner Haut.
Ob sich nun einer impfen lässt oder nicht, ist mir persönlich scheiß egal.
Joey Hoffmann
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