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Liquidsteuer: Schlagabtausch bei Anhörung erwartet

Liquidsteuer überhaupt noch umsetzbar?

Derzeit überschlagen sich die Informationen zur geplanten Liquidsteuer und zur kommenden Anhörung.

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Inzwischen sind die eingeladenen Experten für die Anhörung veröffentlicht. Und die lassen bereits tief blicken.
Eine vorab veröffentlichte Stellungnahme eines Experten scheint nur noch beiläufig zu sein, hat es aber ebenso in sich. Und die Äußerung eines Politikers könnte das vorzeitige Ende der Liquidsteuer bedeuten.

In den vergangenen Wochen hatten viele Wissenschaftler und Experten gegen die Gesetzesänderung protestiert. Im Dämmerlicht der bevorstehenden Bundestagswahl scheint das nun einen Ausschlag zu geben.

Die Ausgangslage

Das vom Kanzlerkandidaten der SPD geführte Finanzministerium plant eine Modernisierung der Tabaksteuer. Obwohl es auf eine kleine Anfrage jeweils der Grünen und Linken im Januar antwortete, es sei keine Änderung geplant, muss seit mindestens Oktober daran gearbeitet worden sein.

Erstmals sollen auch E-Zigaretten bzw. nikotinhaltige Liquids besteuert werden. Die Bemessungsgrundlage soll der Nikotingehalt sein.
In einem hanebüchen erscheinenden Versuch den Nikotinverbrauch eines Dampfers auf den eines Rauchers umzurechnen, kam eine absurde Schlussfolgerung zustande.

Der Nikotingehalt soll so hoch besteuert werden, dass einzelne Produkte im Verbrauch teurer würden als Feinschnitt Tabak. Und das bei einem Produkt, das keinen Tabak enthält, nach wissenschaftlichem Konsens exponentiell weniger schädlich als Tabakzigaretten ist und nach Einschätzung von Public Health England 99,5 Prozent weniger Krebsrisiko mit sich bringt.

Das Tabaksteuermodernisierungsgesetz

Der Entwurf wurde durch die Koalition abgesegnet und als Gesetzentwurf eingebracht. Zeitgleich wurden Verbände eingeladen, sich zu dem Gesetzesvorhaben zu äußern.

Interessant in dieser Phase war, dass sogar der Zoll sich gegen den Entwurf ausgesprochen hat. In einer überraschend deutlichen Stellungnahme bezeichnete er das Vorhaben als „Startup für Kriminelle“. Weil er eine Ausweitung des illegalen Online-Handels und Schmuggel befürchtet.
Erwähnenswert ist auch die Stellungnahme des Händlerverbandes BfTG, der das Gesetz als nicht vereinbar mit dem Grundgesetz beurteilte. Und eine Stellungnahme des Pharmakologen und Toxikologen Prof. Dr. Bernd Mayer vorlegte, der die Berechnungen des Finanzministeriums widerlegt.

Das Tabaksteuermodernisierungsgesetz (TabStMoG) ging daraufhin an den Bundesrat. Die Länderkammer reichte ihn an ihre Ausschüsse weiter. Auch der Gesundheitsausschuss stimmte dem Steuervorhaben zu.
Doch der Wirtschaftsausschuss des Bundesrates kritisierte den geplanten Alleingang. Denn nicht nur, dass die EU das Thema Ende dieses Jahres bereits auf der Agenda hat. Auch die Umrechnung des Finanzministeriums wurde kritisiert, mehr jedoch die kalkulierten Steuereinnahmen.

Die üblichen Gegner

Inzwischen ist der Gesetzentwurf zurück im Bundestag und wurde dort in der so genannten ersten Lesung an den federführenden Finanzausschuss verwiesen. Dieser hat für den kommenden Montag eine öffentliche Anhörung angesetzt.

Denn entgegen der Befürchtungen scheint man sich nicht nur auf den finanzpolitischen Aspekt zu konzentrieren. Das wird an der nun veröffentlichten Liste der eingeladenen Experten deutlich.

Die regierende CDU darf drei Experten einladen, die SPD zwei und die Oppositionsparteien jeweils einen.
Da der Entwurf ausdrücklich aus der SPD stammt und auch im Licht der bevorstehenden Wahl gesehen werden muss, war zu erwarten, dass zwei ausgesprochene Befürworter eingeladen werden.

Und tatsächlich haben die Sozialdemokraten das Aktionsbündnis Nichtrauchen eingeladen.
Der von Dr. Martina Pötschke-Langer geleitete Lobbyverband der Gesundheitsindustrie mit Nähe zur Pharmaindustrie (Link unten) ist ein harter Vertreter der Quit-Or-Die-Position. Man möchte jeglichen Versuch des Rauchstopps in den Händen der Pharma- und Gesundheitsindustrie sehen und notfalls auch eine Kassenübernahme gerichtlich erstreiten.
Ob Martina Pötschke-Langer, die graue Eminenz der E-Zigaretten-Gegner, selber sprechen wird, ist ungewiss.



Alte Bekannte

Als Zweites hat die SPD das Deutsche Krebsforschungszentrum eingeladen. Es ist davon auszugehen, dass die Stabsstelle für Krebsprävention das übernehmen wird.
Die war zum Schluss durch die wissenschaftsbasierte Perspektive ihrer Leiterin Dr. Ute Mons aufgefallen. Mons hat inzwischen jedoch eine Professur an der Universität Köln angenommen. Ihre Interims-Nachfolgerin ist die langjährige Mitarbeiterin Dr. Katrin Schaller. Ebenfalls eine harte Gegnerin der E-Zigarette. Was vielleicht auch an Ihrer Schule liegt, denn ihre langjährige Vorgesetzte war genau jene Martina Pötschke-Langer, die nun das ABNR leitet.

Nichtraucherfrühstück 2016: Rechts Katrin Schaller vom DKFZ, daneben Lothar Binding, Vertreter der SPD im Finanzausschuss (Foto: Lothar Binding)

Darüber hinaus war Schaller auch regelmäßige Teilnehmerin der „Nichtraucherfrühstücks“ der vorherigen Drogenbeauftragten Mortler, zusammen mit dem Dampf-Gegner und SPD Abgeordneten Lothar Binding.
Bindig ist wiederum Mitglied des Finanzausschusses, der nun das DKFZ – respektive Schaller – einlädt. Und der sich – wenig überraschend – auch schon unterstützend zu dem Gesetzentwurf geäußert hat.
Die Rheinpfalz zitierte Binding mit „Die Industrie zielt auf neue Käuferschichten bei der Jugend und befürchtet, dass die preissensiblen Heranwachsenden durch die Steuer abgeschreckt werden könnten.“ Er gibt also genau die Narrative wieder, die auch von ABNR und DKFZ zu erwarten sind.

Im Grunde hat die SPD also nicht zwei Stimmen eingeladen, sondern eine.
Es ist absehbar, was diese Stimme zu sagen haben wird: Jugendschutz, Gateway, Lenkungswirkung der Steuer, Langzeitfolgen unerforscht.

FDP und Grüne dagegen

Ebenso war zu erwarten, dass die FDP jemanden aus dem Tabakbereich einladen wird.
Neu ist, dass der BVTE eingeladen wurde. Der relativ neue Bundesverband der Tabakwirtschaft und neuartiger Erzeugnisse vertritt auch originäre E-Zigaretten-Unternehmen wie Riccardo und Niko Liquids. Und so kann man davon ausgehen, dass deren Geschäftsführer Jan Mücke sprechen wird. Zumal dieser selber FDP-Mitglied ist und in der letzten Legislatur im Bundestag saß.

Die Grünen haben Dr. Tobias Rüther eingeladen. Rüther ist Leiter der Tabakambulanz der Universitätsklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München. Anfänglich hatte er sich sehr skeptisch zur E-Zigarette geäußert. Unter anderem während einer Podiumsdiskussion der eGarage, die in Berlin veranstaltet wurde. Was scheinbar durch die Berichterstattung der Medien geprägt war.
Inzwischen hat er aber eine sehr befürwortende und wissenschaftsbasierte Position eingenommen.

Überraschend deutlicher Protest im Vorfeld

Dr. Bernd Werse vom Centre for Drug Research der Goethe Universität Frankfurt.

Erwähnenswert ist die Einladung der Linken. Denn ihr Experte ist Dr. Bernd Werse, Mitbegründer des Centre for Drug Research der Goethe Universität Frankfurt. Seine Stellungnahme wurde inzwischen vorab veröffentlicht. Und die ist überraschend scharf und deutlich.

Er zeigt sich „erschüttert über den nun vorliegenden Gesetzentwurf.“
Vier Argumente führt er dafür an. Die Besteuerung sei nicht dem Risiko der E-Zigarette angemessen, eine Lenkungswirkung würde nicht stattfinden, eine voraussehbare Entwicklung eines Schwarzmarktes und die unkontrollierbaren Folgen Wirkung, wenn Dampferinnen und Dampfer versuchen werden, ihre Liquids selber zu mischen. [Anm. d. Red.: Damit sind niemals Halbfertigprodukte wie Shake & Vape gemeint.]

„Wenn die Bundesregierung glaubt, dadurch könnten »Dampfer*innen« vom Konsum abgehalten werden und gleichzeitig der Konsum von Verbrennungszigaretten nicht ansteigen, so wäre dies eindeutig in den Bereich des Wunschdenkens einzuordnen […]“

Dr. Bernd Werse, Centre for Drug Research, Goethe Universität Frankfurt, Stellungnahme als Sachverständiger an den Finanzausschuss des Bundestages, 09.05.2021

CDU Experten bescheren Überraschung

Die größte Überraschung sind jedoch die eingeladenen Experten der CDU/CSU. Denn da die Koalitionsrunde den Entwurf durchgewunken hat, wäre zu erwarten gewesen, dass die Union Befürworter des Gesetzes einlädt. Sie hat jedoch Gegner eingeladen.

Zum ersten den Verband der deutschen Rauchtabakindustrie. Erwartet wird deren Hauptgeschäftsführer, der Rechtsanwalt Michael von Foerster. Es ist davon auszugehen, dass der Lobbyverband der Hersteller und Importeure gegen den Gesetzentwurf plädieren wird.


EDIT 12.05.2021: Durch einen veröffentlichten Leserbrief von Michael von Foerster musste ich meine Einschätzung revidieren. https://www.vapers.guru/2021/05/12/anhoerung-zur-liquidsteuer-aktualisierung-zum-vdr/


Als nächstes wurde der Händlerverband BfTG eingeladen. Das Bündnis für Tabakfreien Genuss wird durch seinen Vorsitzenden Dustin Dahlmann vertreten werden.
Auch diese Stimme sollte nicht als argumentative Gewichtung unterschätzt werden, da der Verband sich von Tabakunternehmen als Mitglieder distanziert und somit ein anderes Standing bei vielen Skeptikern im Ausschuss haben dürfte.

Und es wurde der renommierte Prof. Dr. Martin Storck eingeladen. Er ist nicht nur Direktor des Städtischen Klinikums Karlsruhe, sondern auch ehemaliges Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie, Gast-Professor der Hirosaki-Universität in Japan und der Saudi-German Hospital Group im Nahen Osten.

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Zu früh für Sektkorken, aber…

Mitglied des Finanzausschusses Sebastian Brehm von der CSU macht deutliche Ansage.

Die Endgültige Entscheidung zur Liquidsteuer wird am 11. Juni vom Parlament gefällt werden. Es wäre also verfrüht, die Sektkorken knallen zu lassen. Dennoch werden die Zeichen für ein Scheitern inzwischen so stark, dass man mehr als nur Hoffnung haben darf.

Zuerst war der Unmut darüber aus Berlin zu hören, dass das Finanzministerium bzw. die Bundesregierung die Parlamentarier auf gleich zwei Anfragen falsch informiert hat.
Bereits am Tag, als der Entwurf von der Koalitionsrunde durchgewunken wurde, äußerte die CDU sich kritisch. Vor allem bezüglich des politischen Alleingangs innerhalb Europas.

Nun lädt die Fraktion der CDU und CSU auch noch ausgesprochene Gegner des Vorhabens als Experten zur Anhörung ein.

Und als wäre das nicht genug, kündigte der Finanzexperte der CSU Sebastian Brehm in einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung „den geschlossenen Widerstand der Union gegen die Gesetzesvorlage des Finanzministers an.“
Brehm ist ebenfalls Mitglied des Finanzausschusses.

„Die Union ist sich einig in der Ablehnung der Pläne von Olaf Scholz.“

Sebastian Brehm, CSU, FAZ am Sonntag, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 09.05.2021

Natürlich könnte dies bereits Taktieren im Wahlkampf sein. Um das Gewicht dieser Äußerung zu verstehen, muss man sich aber zwei Dinge verdeutlichen.

Politischen Schlagabtausch zu erwarten

Zum ersten hat die SPD ohne den Rückhalt der Union keine Möglichkeit, das Gesetz durchzubringen.
Zum zweiten steht das Vorhaben unter enormen Zeitdruck. Wird der Entwurf abgelehnt, bleibt vor der Bundestagswahl keine Zeit mehr für eine Nachbesserung. Er wäre damit vom Tisch.

Danach werden die Grünen ein gewichtiges Wort mitzureden haben. Und die wollen eine Besteuerung, die dem Gesundheitsrisiko angemessen ist.

Nun ist es auch zu spät für Verhandlungen über die Steuerhöhe. Der Zug war in dem Moment abgefahren, als die Koalition den Entwurf offiziell eingebracht hat.
Denn die Parlamentarier können einem Entwurf nur zustimmen oder ihn ablehnen. Und im Fall der Liquidsteuer bleibt keine Zeit mehr, ihn zurück an das Ministerium zur Überarbeitung zu geben.

In jedem Fall wird die Anhörung zu einem politischen Schlagabtausch werden.
Auf der einen Seite die Vertreter der Quit-Or-Die-Mentalität, die pharmafreundlich gegen die E-Zigarette Lobbyarbeit betreiben. Und auf der anderen Seite die Vertreter der Tobacco Harm Reduction. Wider Erwarten nicht nur vertreten durch Branchensprecher und Finanzexperten, sondern auch durch Wissenschaftler aus dem Gesundheitsbereich.

Und so wird erstmals die tatsächliche Relation der Stimmen deutlich werden. Wenige Gegner der E-Zigarette und Tabakerhitzer mit großem Lobbyeinfluss; und viele Befürworter der Harm Reduction, die wenig gehört werden.
Alleine das könnte bereits eine Wirkung auf die Politik haben, die weit über den Streit um die Steuer hinausgeht und einige Augen öffnet. Das ist jetzt bereits ein Fortschritt für die E-Zigarette und eine Branche mit Tausenden Arbeitsplätzen.


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Joey Hoffmann

Begründer und inhaltlich Verantwortlicher bei vapers.guru
Freier Redakteur, zuvor angestellter und selbstständiger Marketingberater und Mediengestalter, Fachbereich Facebook und Wordpress. Mitglied des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes.

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