Die schlimmsten Befürchtungen werden unumstößliche Wahrheit: Die beschlossene Liquidsteuer soll auch auf Shake & Vape, Aromen und Base erhoben werden.
Lange wurde über die „Liquidsteuer“ diskutiert. Denn bei der Gesetzesänderung mit dem Namen Tabaksteuermodernisierungsgesetz ging es vor allem um Liquids, die zum ersten Mal besteuert werden sollen.
Eingebracht wurde die Initiative vom Finanzministerium, das derzeit vom Kanzlerkandidaten der SPD Olaf Scholz geleitet wird. Die Steuern auf Tabakzigaretten sollten erhöht werden, die auf Tabakerhitzer angepasst. Doch bei der Steuer auf E-Zigaretten war man sich uneins.
Noch im Januar beantwortete die Bundesregierung zwei kleine Anfragen der Linken und der Grünen damit, dass nichts in der Richtung geplant sei. Geleakte Dokumente zeigen aber, dass seit mindestens Oktober 2020 an dem Entwurf gearbeitet wurde.
Der erste Entwurf sah eine Besteuerung auf Basis des Nikotingehalts vor. Damit wären Aromen, Shake & Vape und Base nicht nur frei ausgegangen. Die zu entrichtende Steuer wäre davon abhängig gewesen, wieviel Nikotin ein Dampfer konsumiert.
Ausgerechnet Interessenvertreter der E-Zigarette, darunter der Verband des eZigarettenhandel VdeH, wollten eine volumenbasierte Steuer. Die haben sie nun bekommen.
Ein Kompromiss, der alles schlimmer gemacht hat
Die Opposition protestierte, überraschenderweise ebenso der Koalitionspartner CDU/CSU. Es kam zu einer Anhörung des Finanzausschusses. Bei dem vor allem die Vertreter des SPD gegen die E-Zigarette ins Feld zogen. Allen voran der Sprecher Schrodi und der bekannte Nichtraucheraktivist Lothar Binding, der nebenbei auch schon mal das Nichtraucherfrühstück der Drogenbeauftragten geleitet hatte.
Daraufhin folgten Wochen der Verhandlungen. Die CDU wollte nicht davon abrücken, dass E-Zigaretten bzw. Liquids geringer besteuert werden müssen. Und so fand man – offenbar fern von jedem Fachwissen – einen Kompromiss.
In einer nächtlichen Sitzung des Bundestages wurde das Gesetz am 11. Juni nach 15 Minuten Aussprache um halb eins beschlossen.
Man führte den Begriff der „Substitute für Tabakwaren“ ein. Diese sollen dann ab Mitte nächsten Jahres besteuert werden. Aufsteigend, bis zu 32 Cent pro Milliliter im Jahr 2026.
Seitdem sind nicht nur die Konsumentinnen und Konsumenten verunsichert. Die gesamte Branche hing in der Luft. Denn viele Produkte sind nicht zum direkten Konsum geeignet, sondern lediglich Halbfertigprodukte. Zudem sind alle Komponenten, außer das Nikotin, frei im Handel verfügbar. Glycerin und Propylenglykol sind in fast jedem Baumarkt erhältlich und Lebensmittelaromen bekommt man sogar in der Apotheke oder im Fachhandel für Eisdielen.
Man musste also davon ausgehen, dass die Zweckbestimmung den Ausschlag geben wird.
Was nichts anderes bedeutet, als dass ein Vape Shop, der einen Liter Glycerin verkauft, dafür Tabaksteuer entrichten muss… die Drogerie nebenan aber nicht.
Gespräch mit dem Finanzministerium
Am vergangenen Donnerstag fand eine Sitzung in Berlin statt. Der Händlerverband Bündnis für Tabakfreien Genuss BfTG sprach mit Vertretern des Finanzministeriums und der Generalzolldirektion. Insgesamt waren sieben ranghohe Beamte der beiden Behörden anwesend.
Das Ergebnis machte bereits Freitag die Runde in der Gerüchteküche. Eine Nachfrage beim BfTG bestätigte die schlimmsten Befürchtungen:
Es soll alles besteuert werden, was zum Zweck des Dampfens angeboten wird.
Die Beamten wiesen sogar darauf hin, dass es eine Steuerstraftat darstellt, wenn man versuche, dies irgendwie zu umgehen. Es wäre also beispielsweise schon ausreichend, wenn ein Vape Shop Glycerin einkauft. Damit hätte der Hersteller Kenntnis über den Zweck und müsste Tabaksteuer entrichten.
Um das zu unterstreichen, verwies das Ministerium auf zwei Argumente.
Zum ersten habe der Gesetzgeber klar eine volumenbasierte Besteuerung vorgesehen. Und zum zweiten fallen auch die Einzelkomponenten unter das Tabakerzeugnisgesetz. Sie sind also seit der Gesetzesänderung, die recht unbemerkt Ende des vergangenen Jahres durchgedrückt wurde, mit im Boot.
Steueranteil ab 2026
10 ml NikShot (derzeit ca. 1,- Euro) = 3,20 Euro
10 ml Liquid (derzeit ca. 5,- Euro) = 3,20 Euro
20 ml Shake & Vape (Longfill) = 6,40 Euro
100 ml Shake & Vape (Shortfill) = 32,- Euro
1 Liter Glycerin, Propylenglykol oder Gemische (derzeit ca. 10,- Euro) = 320,- Euro
„Nicht tatenlos zusehen“
Nach Angaben des BfTG wurde über den Punkt lange diskutiert. Da vor allem Einzelkomponenten wie Glycerin auch ohne Angabe der Bestimmung online verkauft werden.
Das Finanzministerium zeigte sich nicht nur uneinsichtig. Es machte auch deutlich, man wolle „nicht tatenlos“ bei einer Umgehung zusehen.
Allerdings räumte man lapidar ein, auch die Tabakindustrie müsse ja mit dem Schmuggel leben. Was erneut eine völlige Unkenntnis der Marktrealitäten beweist. Denn geschmuggelte Tabakzigaretten müssen zumindest aus dem Ausland eingeführt werden. Hier gibt es die vermeintlich illegale Konkurrenz um die Ecke frei zu kaufen.
Die Sache mit der Übergangsfrist
Desinformation innerhalb der Branche macht das Ganze nicht einfacher.
In einem Newsletter informierte der VdeH seine Mitglieder am Freitag nicht nur, dass „10ml Fertigliquid/Shot/Aroma/Longfill […] im ersten Schritt gerade einmal 2€ teurer“ werden. Was schlicht falsch ist. Denn auf ein 10ml Fläschchen wird in der ersten Stufe 1,60 Euro Steuer erhoben werden, auf ein Shortfill mit 60ml aber 9,60 Euro.
Ganz abgesehen davon, ob ein Händlerverband eine Steuer von 1,60 Euro auf ein Produkt für 1,- Euro als „gerade mal“ bezeichnen sollte. Das sind immerhin 160 Prozent.
Der VdeH behauptet darüber hinaus, er habe – so wörtlich – „ein gutes halbes Jahr Übergangsfrist herausgehandelt“. Obwohl er selber in dem Newsletter angibt, dass er nicht nur nicht mit dem Finanzministerium gesprochen hat. Sondern dass es dafür noch nicht einmal einen Termin gibt.
Tatsächlich ist in dem Gesetz, das inzwischen offiziell im Bundesanzeiger veröffentlicht ist, überhaupt keine Übergangsfrist vorgesehen. Es gibt also gar nichts, worüber der VdeH hätte verhandelt haben können.
Das Tabaksteuermodernisierungsgesetz orientiert sich am Kaffeesteuergesetz. Das bedeutet, dass die Hersteller vor dem Stichtag am 01. Juli 2022 so viel produzieren können wie sie wollen. Und diese Produkte dann auch Jahre später noch steuerfrei verkaufen könnten.
Dessen ist das Bundesministerium sich aber bewusst. Man will offenbar „ein Gesetz oder eine Verordnung anstreben“, die den Abverkauf von steuerfreier Ware bis zum 13. Februar begrenzen. Und Verordnungen kann das Ministerium auch ohne Gesetzesänderung oder Entscheidung durch das Parlament beschließen.
Händler und Hersteller sind also gut beraten, ihr Geld auf ein anderes Pferd zu setzen.
Die Kleinsten beißen die Hunde
Das BfTG hatte unmittelbar nach der Verabschiedung angekündigt, eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz anzustreben.
Jetzt erst können die Anwälte tatsächlich anfangen daran zu arbeiten. Eigentlich noch nicht einmal jetzt, sondern erst, wenn das alles schriftlich vorliegt. Zumindest will das Finanzministerium und die Generalzolldirektion das „demnächst“ veröffentlichen. Wann das sein wird, steht in den Sternen des Behördenhimmels.
Verfassungsbeschwerden dauern lange, um sie vorzubereiten. Und es können Monate und sogar Jahre vergehen, bis es zu einem Urteil kommt. Mit ungewissen Ausgang. Denn selbst wenn der Beschwerde stattgegeben wird, muss das dann erst wieder zurück an das Ministerium oder den Bundestag. Und die müssen dann neu entscheiden.
Es ist ein Lichtblick für die E-Zigarette, kann aber für viele Gewerbetreibende dann schon zu spät sein. Die Branche wird sich also darauf vorbereiten müssen, dass die Steuer kommt.
Zumindest werden den Herstellern scheinbar die Anschaffungen teurer Anlagen erspart bleiben: Die Zollbanderolen sollen in Bögen ausgegeben werden. Allerdings werden vor allem die kleinen Unternehmen über die Finanzierung nachdenken müssen: Alleine für eine Produktion von 1000 Shortfills je 100ml müssten sie mit 32.000 Euro in Vorleistung gehen.
Viele Produkte werden neue Umverpackungen erhalten müssen. Die Kartons dürfen nur dort zu öffnen sein, wo die Steuerbanderole angebracht ist. Die Kosten werden ebenfalls die Dampferinnen und Dampfer tragen müssen.
Am schwersten wird es die kleinen Vape Shops treffen. Denn sie werden nicht abschätzen können, wie der Markt sich entwickelt.
Viele der erfahrenen Dampferinnen und Dampfer werden sich zwangsläufig online versorgen. Doch gerade sie sind es, die auch viele E-Zigaretten kaufen. Sie hätten einen Grund weniger, in ihren „Stamm Offi“ zu gehen. Die Hersteller – meist Tabakkonzerne – von Produkten, die preiswert und niedrigschwellig in Tankstellen und Kiosken angeboten werden, werden wohl mit einem blauen Auge davonkommen.
Damit dürfte die Boom-Ära der E-Zigarette als Grassroot, Subkultur und Community endgültig vorbei sein. Die Revolution wurde beendet. Die Goldgräberstimmung liegt bereits in den letzten Zügen.
Auch Al Capone wurde von der Steuer zu Fall gebracht.
Und das Makaberste an der ganzen Geschichte: Glycerin zur Verwendung in Shishas wird weiterhin frei von Tabaksteuer sein.
Joey Hoffmann
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