Es passiert wirklich nicht oft, dass ich sprachlos bin.
Sprache ist ein komplexer Vorgang. Oftmals ist es keine echte Sprachlosigkeit. Sondern die Unfähigkeit den Informationsgehalt, den man heraushauen will, situativ entsprechend anzupassen. Auch das passiert mir nicht oft.
Einen dieser seltenen Momente hatte ich aber heute Morgen.
Jetzt wurde mir aber vor allem beim Militär beigebracht, nur den Mund aufzumachen, wenn ich etwas mitzuteilen habe, von dem ich auch Ahnung habe. Ansonsten halte ich lieber die Fresse.
Das führt dann manchmal dazu, dass ich durch Hintergrundinformationen etwas im Kopf habe, ich es nicht ausformuliere, und der Empfänger nicht versteht was gemeint ist.
Deshalb ist dieser Artikel wohl länger, als es angemessen wäre. Es bringt aber nix aufzuspringen und „Ziegenpisse“ zu schreien, dann weiß ja keiner was gemeint ist. Auch wenn es angemessener wäre. Also muss ich es erklären.
Protagonist eins: Eine Dampf Bloggerin
Die Dampf-Bloggerin „Kurbelursel“ bestreitet einen großen Teil ihrer Freizeit damit, andere Medien zu lesen und zu besprechen. Der reale Name von Kurbelursel – die auf Facebook wieder unter anderem Pseudonym auftaucht – ist leicht rauszubekommen. Aber wenn jemand augenscheinlich so versessen darauf ist, sich Anonymität einzubilden, dann soll man das auch respektieren. Dass man paranoid ist, bedeutet ja nicht zwangsläufig, dass keiner hinter einem her ist.
Bleiben wir also bei Kurbelursel.
Kurbelursel ist schon länger Dampferin und unter Bloggern und in der „Online Community“ offenbar gut vernetzt. Sie hat sich auch schon mehrfach negativ über vapers.guru geäußert (selten inhaltlich), aber das sei ja unbenommen. Nehm ich nicht persönlich.
Noch so eine militärische Weisheit: Was stört es eine deutsche Eiche, wenn ein Schwein sich an ihr kratzt?
Wobei ich auch da schon den Eindruck hatte, das Kurbelursel zur Hybris tendiert. Sie neigt dazu, gerne einmal über das Ziel hinaus zu schießen.
Jetzt hat sie aber ein Meisterstück abgeliefert.
Protagonist zwei: Die Süddeutsche
Dazu muss man erst den zweiten Protagonisten der Komödie vorstellen: Die SZ, die Süddeutsche Zeitung.
Die Süddeutsche gehört zu dem, was man Leitmedien nennt. Sie gehört nicht beispielsweise zum Springer Konzern, sondern hat einen eigenen Verlag. Der Vorläufer erschien bereits 1845 als Münchner Neuste Nachrichten und daraus wurde nach 1945 die SZ.
Obwohl die SZ aus München stammt, gehört sie eher zu den links einzuordnenden Zeitungen. Sie legt immer mehr Wert auf Kultur. Ihre Tageszeitung hat eine Auflage von über 350.000 Stück.
Vor allem ist die SZ für Ihren Ruf bekannt, sehr gut zu recherchieren und sehr ausgewogen zu berichten. Andere Medien zitieren sie häufig, weil sie handwerklich hervorragend gemacht ist.
So war es auch die SZ, die sich als erste große Zeitung in Deutschland dem Thema E-Zigarette kritisch und ausgewogen angenommen hat. Bereits im Mai berichtete sie „wie die E-Zigarette ausgebremst wird“.
Es folgten aber noch weitere Artikel, die das Thema sehr vernünftig beleuchteten.
Vorhang auf zum Kammerspiel
Kurbelursel hat offenbar einen Artikel der SZ zur E-Zigarette in die digitalen Finger bekommen, der mit dem Titel „Das Gift riecht nach Bratapfel“ aufmachte. Da geht der leidgeprüfte Wutdampfer ja schon einmal gerne an die Decke. Noch dazu wenn im Teaser dann steht, dass E-Zigaretten bei jugendlichen unerwartete Langzeitschäden verursachen können.
Nur mal ganz nebenbei, fast alles kann bei Jugendlichen Langzeitschäden verursachen. Wenn ein Erwachsener regelmäßig kifft, ist das annähernd bedeutungslos. Wenn Junior sich in der Adoleszenz aber täglich gepflegt einen Eimer wegballert, ist die Wahrscheinlichkeit, dass er noch Raketenwissenschaftler oder Gehirnchirurg wird, eher gering. Aber dann ist es ihm wenigstens egal.
Das Dilemma
Jetzt gab es bei Kurbelursel aber offenbar ein emotionales Dilemma. Einerseits wollte sie auch „Ziegenpisse“ schreien, andererseits konnte sie aber die Ziegenpisse gar nicht belegen. Denn unverschämterweise will die SZ für ihre Arbeit auch noch Geld haben. Und so war der Artikel hinter einer Paywall verborgen. Man muss dafür schon bezahlen wenn man es lesen will. Was Kurbelursel aber offenbar nicht eingesehen hat.
Also wurde das Keyboard gezückt und wenigstens etwas über den Titel in die Tasten entfrustet. Und wenn schon, dann gleich das ganz große Eisstockschießen: Ein offener Leserbrief. Die Maximaleskalation des Mitredenwollens.
Das Werk kann sich gerne jeder selber durchlesen: http://www.mered.de/forum/allgemeine-diskussion/leserbrief-sz-gift-ezigarette
Darin zitiert sie noch einmal benannte Überschrift und den Teaser. Dann erläutert Kurbelursel der SZ dankenswerterweise die derzeitigen deutschen Gesetze. Darin fragt sie dann auch, ob schon mehrfach Vergiftungen bei Jugendlichen durch E-Zigaretten gemeldet worden seien. (Behalten wir das im Hinterkopf.)
Anschließend folgt ein bunter Blumenstrauß mit Quellen. Dankenswerterweise auch gleich verlinkte Wikipedia Einträge zu den von ihr als Ansprechpartner für die SZ empfohlenen Personen.
Aber was steht überhaupt drin?
Das Problem ist jetzt aber ein anderes. Der Artikel der SZ ist nämlich völlig in Ordnung und ausgewogen.
Journalistisch handwerklich korrekt zitiert er nicht nur die Studien. Sondern auch Aussagen der Menschen, die diese Studien besprochen haben. Das ist in der Medienlandschaft schon etwas, denn das zeigt, dass man renommiert genug ist, dass die Menschen sogar mit einem sprechen. Und es zeigt, dass man sich die Arbeit gemacht hat. An solchen Kleinigkeiten erkennt man gute Zeitungen.
In der Studie, wie auch einigen anderen nebenbei erwähnten, geht es darum, dass offenbar E-Zigaretten bei Jugendlichen bei regelmäßigem Konsum das Risiko einer Bronchitis erhöhen können. (Soweit zu Kurbelursels erfragter „Vergiftung“.) Aber um die Frage auch zu beantworten: Ja, es sind Probanden untersucht worden. Eine Menge sogar. Genaugenommen wurden 2000 Jugendliche zwölf Jahre lang begleitet.
Sogar Kritiker kommen zu Wort
Aber die SZ setzt sogar noch einen drauf. Denn weil sie ausgewogen berichtet, zitiert sie sogar Gegenstimmen.
Wegen dem Copyright nur mal ein auszugsweises Zitat:
In Deutschland stehen Mediziner den E-Zigaretten eher kritisch gegenüber, in Großbritannien empfehlen Ärzte sie längst als Alternative zu Tabakzigaretten, besonders zur Raucherentwöhnung. „Dampfgeräte müssen nicht sicher sein. Es genügt, wenn sie sicherer sind als herkömmliche Zigaretten“, erklärt auch Jean-François Etter von der Universität Genf im Fachblatt BMC Medicine. Die Diskussion in der Öffentlichkeit sei ideologisch verklärt, schreibt der Professor für Public Health.
Selbst Berthold Jany, Chefarzt der Inneren Medizin der Missionsärztlichen Klinik in Würzburg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin, räumt freimütig ein, dass E-Zigaretten „viel weniger Schaden anrichten“.
Und es geht noch weiter. Zu der Studie, um die es hauptsächlich geht, wird der Bostoner Mediziner Michael Siegel zitiert, der sie „ein Beispiel für wissenschaftliche Unredlichkeit – mit der Absicht die Öffentlichkeit zu täuschen“ nennt. Die wahren Ergebnisse der Studie würden in den medialen Veröffentlichungen verschleiert.
Leider wird allerdings nicht erwähnt, dass Michael Siegel Professor an der Boston University of Public Health ist. Und als Experte für Präventivmedizin und Tabak ein starker Befürworter der E-Zigarette ist. (Wow, ich hab recherchiert.)
Auch wird noch wunderbar erläutert, dass viele der Probanden nebenbei geraucht haben, und dass man diese Effekte dann herausrechnen müsse. Was dann lediglich ein (wörtlich) „Restrisiko“ ergäbe.
Wunderbares Resümee
Die Autorin Astrid Viciano schließt den Artikel dann mit den Worten
Was nun? Dass ab sofort die Risiken der E-Zigarette deren mögliche Vorteile überwiegen, will niemand behaupten.
Das Schlusswort überlässt sie Robert Loddenkemper, Lungenfacharzt und früherer Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. Der schlicht darauf hinweist, dass wir noch sehr wenig über die E-Zigarette wissen. Und dass behandelnde Ärzte das ihren Patienten auch erklären sollten, wenn sie ihnen die E-Zigarette zur Rauchentwöhnung empfehlen.
Jetzt einmal ehrlich, klingt das nach Unverhältnismäßigkeit? Oder eher so, als wenn dieser Fachmann auch weiterhin die E-Zigarette seinen Patienten empfehlen würde?
Unterm Strich
Das ist keine reductio ad absurdum, lassen wir es uns einfach noch einmal auf dem Monitor zergehen.
Da schnappt eine Bloggerin die Titelzeile eines Artikels auf, will sich dazu äußern, liest diesen Artikel aber gar nicht. Weil sie offenbar nicht bereit ist, ein paar Euro fuffzig für Ihre Empörung zu bezahlen. Dann schreibt sie einen offenen Leserbrief, an den jeder Deutschlehrer „Zusammenhang?“ geschrieben hätte. Und belehrt darin dann nicht nur professionelle sondern auch angesehene Journalisten. Und schickt den offenbar auch per Mail. Zu einem Artikel, den sie nicht gelesen hat, der aber völlig in Ordnung ist. Nur wegen der Überschrift, die ihr nicht passt.
Super. Kommt steil. Vertritt das Dampfen auch würdig.
Doch, ich sag es jetzt trotzdem: Ziegenpisse.
Einfach mal den Ball flach spielen
Haben wir eigentlich mit Pegida, AfD, Reichsbürgern, Wutbürgern, Verschwörungstheoretikern und (nicht zu vergessen) Linksautonomen nicht genug Idioten im Netz unterwegs, die postfaktisch ihre Meinung in die Tastatur hauen und damit Stimmung machen? Sind wir tatsächlich von den neuen Medien so überfordert, dass wir trotz hunderte Jahre Zeitungswesen immer noch nicht die Funktionsweise von Überschriften verstanden haben? Ist die Kommunikation so verroht und niveaulos, so dass wir schon offene Leserbriefe zu Artikeln schreiben, die wir gar nicht gelesen haben? Sind wir von Storch und Künast schon so besoffen, dass wir meinen wir hauen mal die Meinung raus, zurücknehmen kann man ja immer noch?
Es gehört mehr dazu als Entrüstung
Es ist eine unumstößliche, pädagogische Weisheit: Man muss die Menschen da abholen wo sie gerade sind.
Will ich mit Politikern diskutieren, dann muss ich auch mal eine Krawatte anziehen und darf nicht auf den Mund gefallen sein. Will ich mit Wissenschaftlern diskutieren, dann muss ich zumindest die Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens verstanden haben. Und will ich mit Russen diskutieren, sollte ich genug Wodka vertragen ohne mich einzunässen. Sonst besteht die Gefahr, dass ich nicht ernst genommen werde.
Und wenn ich mich öffentlich über einen Zeitungsartikel aufrege, dann sollte ich ihn verschissen noch eins auch gelesen haben.
Die Anschrift der Redaktion ist im Blog genannt. Dem versteckten Aufruf an die Redaktion zu schreiben mag ich mich irgendwie nicht anschließen. Es sei denn, jemand hat sowohl den Artikel als auch die Studie gelesen.
Bloggen ist eine schöne Sache. Unbenommen.
Aber da fällt mir noch ein Spruch ein. Ausnahmsweise nicht vom Militär, sondern von der Omma.
Schuster bleib bei deinen Leisten.
Hochachtungsvoll
Joey Hoffmann
Joey Hoffmann
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